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Rede Außenminister Westerwelles vor dem Deutschen Bundestag zur Verlängerung des „ALTHEA“-Einsatzes in Bosnien und Herzegowina

10.11.2011 - Rede

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen!

Das deutsche Interesse an der Stabilisierung von Bosnien und Herzegowina ist unverändert groß. Unser Ziel bleibt ein friedliches, demokratisches, rechtsstaatliches Bosnien und Herzegowina, das aus eigener Kraft in der Lage ist, den Weg der EU-Integration erfolgreich zu beschreiten.

Bei aller Vorsicht und aller zurückhaltenden Bewertung können wir heute sagen, dass die militärischen Sicherungsaufgaben der Operation zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfüllt sind. Die Sicherheitslage ist stabil. Das zeigt, wie viel wir erreicht haben. Gerade weil wir in diesem Hause sehr oft kontrovers diskutieren ‑ zum Beispiel gerade eben mit Leidenschaft und fast mit Atemlosigkeit der Redner ‑, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass hier seit vielen, vielen Jahren eine große Übereinstimmung in diesem Hause besteht. Ich denke, ich spreche im Namen aller Anwesenden, wenn ich hier den Frauen und Männern der Bundeswehr, die vor Ort ihren verantwortungsvollen Dienst tun, unseren Dank zum Ausdruck bringe.

Das militärische Engagement der Europäischen Union bleibt aber weiter nötig. Es muss insbesondere noch mehr getan werden, um die Kompetenz und Professionalität der bosnischen Streitkräfte weiter zu stärken. Der Rat für Außenbeziehungen der Europäischen Union hat daher am 10. Oktober beschlossen, dass der Schwerpunkt der Operation Althea, für die ich jetzt hier das Mandat einbringe, künftig auf Ausbildung und Training liegen soll. Unsere Bundeswehr beteiligt sich an dieser Ausbildung und am Personal des Hauptquartiers in Sarajevo. Ansonsten sind keine deutschen Soldatinnen und Soldaten mehr in Bosnien und Herzegowina eingesetzt. Damit konnte das umgesetzt werden, was ich hier vor einem Jahr, bei der letzten Einbringung des Mandates, in Aussicht gestellt und formuliert habe.

Im letzten Jahr konnten wir die Personalobergrenze des Mandates von 2 400 auf 900 absenken. Auch jetzt können wir eine Senkung der Personalobergrenze vornehmen, und zwar von 900 auf 800. Gemessen an der Zahl der tatsächlich vor Ort eingesetzten Soldaten, bleibt eine hohe Personalobergrenze des Mandates, denn wie bislang wird für die Operation ein Reservebataillon bereitgehalten. Deutschland stellt den Löwenanteil an diesem Bataillon, das im Falle einer Lageverschlechterung kurzfristig in das Einsatzgebiet verlegt werden kann. Im Kosovo hat sich bedauerlicherweise gerade gezeigt, wie wichtig eine solche Vorsorge ist; denn auch wenn wir hier gemeinsam eine sehr erfreuliche Entwicklung feststellen können, so wissen wir doch, dass die Unwägbarkeiten noch lange nicht überwunden sind. Dementsprechend ist es notwendig, dass wir diesen Weg weiter vorsichtig und verantwortungsvoll beschreiten.

Ebenso hält die Bundeswehr eine größere Zahl von Kräften bereit, die zur vorübergehenden logistischen und technischen Unterstützung der Mission entsandt werden können. Beides zusammengenommen erklärt die Personalobergrenze des Mandates; beides ist Ausdruck unseres fortgesetzten Engagements und unserer Solidarität mit unseren Partnern.

Für die Bundesregierung bitte ich um Zustimmung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der EU-geführten militärischen Operation Althea zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina. Der Einsatz deutscher Streitkräfte im Rahmen von Althea erfolgt unverändert auf Grundlage der Resolution 1575 aus dem Jahre 2004 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ihrer Folgeresolutionen; er ist also völkerrechtlich eindeutig abgedeckt.

Ich denke, viele wissen nicht mehr, warum seinerzeit dieser Einsatz begonnen worden ist, warum das Engagement überhaupt notwendig war. Wer sich noch an die 90er-Jahre erinnern kann, an das, was in unserer unmittelbaren Nachbarschaft stattgefunden hat, der wird zu dem Ergebnis kommen, dass es auch sehr erfolgreiche Friedenseinsätze der Frauen und Männer unserer Bundeswehr gibt. Wenngleich alles immer kritisch beäugt werden muss ‑ das ist erste Bürgerpflicht in der Demokratie ‑, so kann man, denke ich, doch feststellen: Es ist schon eine sehr beeindruckende Erfolgsgeschichte. Dass wir Deutsche einen Beitrag zu Frieden und Stabilität geleistet haben, das gereicht unserem Land zur Ehre.

Ich komme zum Schluss. Die stabile Sicherheitslage ist das eine; die innenpolitische Lage birgt jedoch nach wie vor Risiken. Fast ein Jahr nach den Wahlen konnte noch immer keine neue Regierung auf Gesamtstaatsebene gebildet werden. Ich kann dies nicht aussparen, weil auch das natürlich zu einer umfassenden Lagebetrachtung gehört.

Diese Lähmung des Landes verhindert, dass die auf dem Weg nach Europa dringend notwendigen Reformen angegangen werden. Diese politische Stagnation muss unbedingt überwunden werden.

Deshalb macht die Bundesregierung das in all ihren Gesprächen mit den Verantwortlichen immer wieder deutlich. Wir bieten eine europäische Perspektive. Wir wissen um die positive Dynamik, die der Annäherungsprozess an die Europäische Union im Land entfalten kann. Wir erwarten aber, dass die notwendigen Schritte vor Ort gegangen werden.

Die auf die Europäische Union bezogenen Reformen müssen eindeutig Priorität erhalten. Ethnische Einzelinteressen müssen dahinter zurückgestellt werden.

Die EU soll in Bosnien und Herzegowina zentraler Akteur sein. Es ist deshalb gut, dass die Trennung der Funktion des Hohen Repräsentanten von dem Amt des EU-Sonderbeauftragten vollzogen ist. Der Amtsantritt des neuen eigenständigen EU-Sonderbeauftragten ist Ausdruck der Neuaufstellung der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina. Auch dies zeigt, dass wir einen entsprechenden Fortschritt verzeichnen können.

Es bleibt das Ziel der Bundesregierung, Althea mittelfristig zu einer nichtexekutiven Beratungs- und Unterstützungsmission weiterzuentwickeln. Dazu ist noch weitere Abstimmung mit unseren Partnern erforderlich. Bis es so weit ist, bleiben wir in Loyalität und Verlässlichkeit gegenüber unseren Partnern und in unserer Verantwortung gegenüber den Menschen in Bosnien und Herzegowina diesem Mandat verpflichtet.

Deswegen bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung um Zustimmung zu diesem Mandat.

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