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Ansprache des Außenministers Frank-Walter Steinmeier in der Gedenkstätte La Risiera di San Sabba, Triest

18.11.2008 - Rede

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

für den vom nationalsozialistischen Deutschland begangenen Verrat an der Zivilisation stehen viele Ereignisse und Erinnerungsorte.

Nichts aber verkörpert die deutsche Schande mehr als das System der Konzentrations- und Vernichtungslager.

Primo Levi, ein italienischer Bürger jüdischer Herkunft und selbst tragischer Überlebender von Auschwitz, hat die Lager als Orte „jenseits von Gut und Böse“ beschrieben. Weil dort Menschen von Menschen in einer Weise gedemütigt, gequält und ausgelöscht wurden, die jenseits alles Dagewesenen und Vorstellbaren lag.

Vor 65 Jahren, nach Mussolinis Sturz und Italiens Kriegserklärung an das nationalsozialistische Deutschland, wurde auch „La Risiera di San Sabba“ zu einem solchen Ort „jenseits von Gut und Böse“ - eine „Reisfabrik“, die zur Todesfabrik wurde.

Der Ort wurde zum Kriegsgefangenenlager, zum Haft- und Folterlager für Geiseln, Partisanen und andere politische Gefangene. Er wurde zum Sammel- und Durchgangslager für Juden vor ihrer Deportation in die Vernichtungslager, für italienische Militärinternierte vor ihrer Deportation in die Zwangsarbeit und allzu oft auch in den Tod.

Wo wir heute stehen wurden zwischen 3.000 und 5.000 Menschen ermordet. Triestiner, Friulaner, Slowenen, Kroaten. Juden, politische Gefangene, Militärinternierte. Ihnen allen gehört heute unser Gedenken.

Was hier an Schrecklichem unter deutschem Namen passiert ist, ist Teil unserer gemeinsamen Geschichte. Die bittere Erinnerung daran eint uns.

Aus dieser Erinnerung erwächst uns eine bleibende gemeinsame Verantwortung für eine friedvolle Zukunft in einem geeinten Europa.

Diese Erinnerung darf kein Kapitel unserer gemeinsamen Vergangenheit ausblenden, auch und gerade nicht die allerschmerzlichsten.

Deshalb erinnere ich heute besonders an das Leid der etwa 600.000 italienischen Militärinternierten: an die unsäglichen, oft mörderischen Bedingungen des Transportes, der Inhaftierung in Hunger und Kälte, der Zwangsarbeit. An die hohe Zahl von internierten Soldaten, die ermordet wurden oder an den Folgen der Internierung starben.

Den Opfern und ihren Angehörigen gilt unser tiefes Mitgefühl. Wir schulden ihnen und ihrem Schicksal Gedenken und Aufarbeitung, nicht Sprachlosigkeit und Verdrängung.

Deshalb laden Minister Frattini und ich Historiker unserer beiden Länder für das kommende Jahr zu einer gemeinsamen Konferenz in das deutsch-italienische Begegnungszentrum der Villa Vigoni ein, um sich eingehend und offen mit der deutsch-italienischen Kriegsvergangenheit und dem Schicksal der italienischen Militärinternierten zu beschäftigen. Diese wird die Auftaktveranstaltung zu einer gemeinsamen Historikerkommission sein.

Deutschland und Italien teilen die leidvollen Erfahrungen mit totalitären Regimen. Mit der gemeinsamen Aufarbeitung der historischen Geschehnisse können wir eine gemeinsame Erinnerungskultur schaffen, die auf eine bessere und gemeinsame Zukunft gerichtet ist.

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