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Statement von Außenminister Gabriel zum „Berliner Appell“ zur humanitären Nothilfe

12.04.2017 - Rede

Sehr geehrter Filippo Grandi,
lieber Kollege Müller,
sehr geehrte Damen und Herren,

Ihnen wird es nicht anders gegangen sein, aber als mich vor kurzem die dramatischen Hilfsappelle der Vereinten Nationen erreicht haben, war mir klar: die Lage in Südsudan, aber auch in Somalia, in Jemen und in Nigeria ist so katastrophal wie lange nicht! Zum ersten Mal seit 2011 sprechen die VN offiziell über eine Hungersnot.

Nur anders als damals kommt sie nicht überraschend. Damals haben ja viele gesagt, man habe sich nicht ausreichend vorbereiten können - diese Ausrede gilt diesmal nicht, da offensichtlich ist, dass die unterschiedlichen Gründe wie Krieg, Bürgerkrieg Trockenheit, Klimakatastrophen und Flüchtlingsbewegen zusammentreffen. Deswegen müssen wir alles dafür tun, eine solche Katastrophe zu verhindern.

Sie alle arbeiten tagtäglich in diesen Krisengebieten und leisten unter schwierigsten Bedingungen großartige Dinge, die sich viele in ihrem Alltag gar nicht vorstellen können. Von der Verteilung von Lebensmitteln und Wasser, hin bis zum Mobilisieren von Spenden. Und Sie setzen sich für humanitären Zugang ein, um Menschen das zu geben, was sie ganz unmittelbar benötigen.

Wir haben daher in den vergangenen Wochen unser politisches und humanitäres Engagement in der Bundesregierung intensiviert und in Absprache mit unseren internationalen Kollegen haben wir versucht, weitere Mittel mobilisieren.

Zurück aber zum Grund für diese Einladung. Was wir vor allem wollen, das ist es zu erfahren, welche Maßnahmen, welche Hilfe, welche Rahmenbedingen aus Ihrer Sicht jetzt notwendig sind, um eine Hungersnot abwenden zu können. Aus diesem Grund möchte ich ihnen die Schwerpunkte vorstellen, mit denen wir zumindest glauben, voranzukommen. Das ist kein gigantischer Masterplan, der angeblich alle Probleme löst, aber ein bescheidener Arbeitsplan, der Ihnen zeigen soll, was wir vorhaben und wo wir um Ihre Hilfe bitten.

Erstens: wir brauchen mehr Geld! Dafür sind weniger Sie zuständig, als vielmehr die Regierungen und private Unterstützer. Dennoch: es gibt hier ein Problem. Wenn Sie regelmäßig an internationalen Konferenzen teilnehmen, dann merken Sie, dass immer die gleichen in jeder Konferenz um Hilfe gebeten werden und immer die gleichen vorsichtshalber gar nicht erst zur Konferenz kommen. Und das führt natürlich dazu, dass sie irgendwann an die Grenze dessen kommen, was politisch zu vermitteln ist. Um ganz plastisch zu bleiben: wenn sie den Abgeordneten des Haushaltsausschusses des Bundestages am Freitag sagen „vielen Dank, dass wir einen bestimmten Betrag von Ihnen erhalten“ und dann am Montag schon wieder erscheinen und sagen „wir haben übrigens noch eine neue Katastrophe, wir würden Sie bitten, noch einmal überplanmäßig Mittel bereitzustellen“, dann kann dies eine Weile funktionieren, aber eben nicht unbegrenzt. Und irgendwann wird die Frage aufkommen „warum eigentlich immer nur diese sechs, sieben oder acht Staaten und die anderen nicht?“ Die Frage, wie wir also mehr Staaten erreichen, steht also im Raum. Und es sind übrigens durchaus wohlhabende Staaten, die die Augen schließen angesichts dessen, was sich in der Welt abspielt.

Und dennoch: wir haben 2017 rund 136 Mio. EUR für humanitäre Hilfe in Nigeria, Südsudan und am Horn von Afrika bereitgestellt und werden den Deutschen Bundestag erneut um eine Aufstockung der Mittel bitten. Anders gesagt: Minister Müller und ich haben für das Thema bereits ca. 100 Mio. Euro im Haushalt des BMZ und 100 Mio. EUR im Haushalt des AA mobilisiert und wir wollen diese Summe mit Hilfe des Bundestags und des Finanzministers um weitere 200 Mio. EUR ergänzen, zusätzlich zu dem, was wir ohnehin bisher tun. Und so werden wir auch Geld für den Jemen bereitstellen und darüber hinaus 50 Mio. Euro in den zentralen Nothilfefonds der Vereinten Nationen einzahlen.

Zweitens: neben Geld braucht es auch mehr Politik. Humanitäre Hilfe mag unparteiisch und unpolitisch sein, die Forderung nach humanitärem Zugang ist es nicht. Wir reden hier über international verbindliches Recht und wir erleben leider eine Zeit, in welcher das Bestehen auf der internationalen Rechtsordnung nicht gerade in Mode gekommen zu sein scheint. Und deswegen kommt es sehr darauf an, stets dem humanitären Zugang Nachdruck zu verleihen. Hier haben wir klare politische Forderungen an die Konfliktparteien im Jemen, denn wir brauchen für die Hilfsorganisation die Möglichkeit, über den Hafen von Hudaida Lieferungen ins Land zu bekommen und zwar ohne beschossen zu werden. Und in Somalia müssen sich die Clans dauerhaft einigen, damit dringend benötigte Lieferungen keinen Umwege mehr fahren müssen und ergänzend muss die Sudanesische Regierung Korridore öffnen und offen halten, um den Transport von Nahrungsmitteln in den Südsudan zu ermöglichen.

Drittens: mehr Stabilisierung. Unsere Hilfe kann Konflikte abmildern, aber sie wird sie nicht lösen. Wir müssen unser Engagement zur Stabilisierung von schwierigen und fragilen Regionen intensivieren. Dafür wollen wir z.B. im Südsudan mehr Hilfe zur Verfügung stellen, so wie wir das in Oslo für die Tschadseeregion gemacht haben.

Viertens: man braucht für all das einen langen Atem. All das darf eben kein Strohfeuer sein. Eigentlich müssten wir international viel stärker dafür eintreten, dass die Fonds und die Institutionen der VN dauerhaft mit Mitteln ausgestattet werden und nicht in jedem Jahr erneut der Versuch unternommen werden muss, Gelder einzuwerben. Auch deshalb werden wir uns am 25. April auf einer Geberkonferenz in Genf für den Jemen und am 11. Mai in London wiedertreffen, um mit anderen über die Aufstockung der Mittel zu sprechen und deshalb wollen wir als Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen.

All das sind letztlich Dinge, die für uns aus humanitären Gründen wichtig sind. Ich finde, wir müssen öffentlich klar den Eindruck vermeiden, dass wir uns nur deswegen gegen die Hungerkrisen zusammentun, weil wir uns vor Flüchtlingen schützen wollen. Das ist ein seltsamer Eindruck, der gelegentlich in der öffentlichen Debatte entsteht. Ich finde, dass dies eine Frage von Anstand und Moral ist und dass wir nicht wegschauen und die Ohren verschließen können, wenn der Generalsekretär der VN um Hilfe bittet.

Für uns ist es daher wichtig, auch von ihnen zu erfahren, was wir tun sollten und wie Rahmenbedingungen verändert werden müssten. Und wir bitten Sie natürlich auch, unseren Berliner Appell nicht nur in Deutschland, sondern auch in ihren internationalen Kooperation und Netzwerken zu unterstützen. Minister Müller hat in anderem Zusammenhang gesagt, wenn die Weltgemeinschaft über 2% Rüstungsausgaben redet, dann müsste man wenigstens 0,7% ODA einlösen. Ich persönlich bin ja der Meinung, andersrum wäre es eigentlich besser: also 2% ODA und 0,7% für die Rüstungsausgaben.

Minister Müllers Hinweis zeigt aber deutlich ein großes Dilemma auf. Wir befinden uns in einer Situation, in welcher die ganze Welt überlegt, wie sie militärisch aufrüstet, manchmal mit nachvollziehbaren Begründungen, manchmal ohne eine solche. Und angesichts der Summen, über welche gesprochen wird, muss man eigentlich vor Scham im Erdboden versinken wenn es dann nicht gelingt, 4 Milliarden Euro für die Krisen, zu denen die am Horn von Afrika gehört, aufzubringen, was ja irgendwie ein Bruchteil dessen ist, über was im Bereich der Rüstung gesprochen wird.

Ich glaube daher auch, dass wir in unserem Land eine große Zustimmung dafür bekommen, wenn wir uns und international ambitionierte Ziele auch für die nachhaltige Entwicklung setzen. Dann wird übrigens auch die Notwendigkeit für hohe Verteidigungsausgaben geringer. Denn am Ende kann eine umfassende Sicherheit nicht alleine durch das Militär gewährleistet werden, und es freut mich in besonderem Maße, wenn Minister Müller und ich hier an einem Strang ziehen.

Vielen Dank!

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