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„Was müssen wir tun, wenn Kultur zerstört wird?“

15.05.2015 - Interview

Der internationale Kulturgüterschutz ist ein politischer Auftrag. Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, erschienen in der Frankfurter Allgemeinen vom 15.05.2015.

Der internationale Kulturgüterschutz ist ein politischer Auftrag. Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, erschienen in der Frankfurter Allgemeinen vom 15.05.2015.

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Die Welt ist aus den Fugen geraten – und zwar im wörtlichen wie im übertragenen Sinne: Naturkatastrophen wie in Nepal, barbarische Akte der Zerstörung wie in Mali oder in den Ländern des Krisenbogens um Syrien, terroristische Anschläge wie vor kurzem in Tunesien - an vielen Stellen und aus ganz unterschiedlichen Gründen sehen Menschen und Völker zur Zeit auch ihr kulturelles Erbe bedroht.

Hilfe aus Deutschland tut hier Not. Hinter der Ebene der kulturellen Güter und unter der Oberfläche der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten scheint in vielen Weltregionen dabei vor allem ein Thema auf: der Aufbau und Schutz einer kulturellen Identität, die Offenheit und Zukunftsfähigkeit unserer Partner gewährleistet und so Grundlage für eine neue Ordnung sein kann. Gerade hier ist Deutschland besonders gefragt, und gerade hier kommt uns besondere Wertschätzung zu. Das Zusammenwirken von Staat und Zivilgesellschaft spielt dabei eine große Rolle. Wie kaum ein anderes Land tragen wir nach Ansicht unserer Gesprächspartner so bei zu Emanzipation und Fortschritt durch Bildung, zur Entwicklung freier Medien, zu sozialer und kultureller Teilhabe – und eben zum Schutz der Kulturgüter, die für die kulturelle Identität unserer Partner stehen.

Kultur- und Bildungspolitik lässt das Vertrauen wachsen, das wir brauchen, um zu politischen Lösungen zu gelangen. Wie groß dieses Vertrauen ist, zeigt sich zum Beispiel in Ägypten daran, dass das Land die Erforschung und Restaurierung der Maske des Tutanchamun an ein Team aus Deutschem Archäologischen Institut, deutschen Universitäten und Museen anvertraut hat. Wer um den quasi religiösen Status dieser Maske weiss, wer ermessen kann, was sie für die kulturelle und politische Identität Ägyptens bedeutet, der wird mir zustimmen, wenn ich sage, dass die gemeinsame Arbeit am Schutz von Kulturgütern eine politische Aufgabe ist.

Das gilt in besonderem Maße in einer Zeit, in der uns fast täglich Bilder von der barbarischen Zerstörung erreichen. Wer die Heimstätten der Religion und der Ahnen schändet, der zerstört die Symbole und Träger eines gemeinsamen kulturellen Bewusstseins, der will Länder und Völker ihrer Identität berauben. Das wissen wir, das wissen aber auch die Feinde der Kultur. Sie wüten deshalb in Mossul, in Nimrud, Ninive oder Hatra. Die Überreste verkaufen sie an gewissenlose Händler und über diese an noch viel gewissenlosere Käufer, die das Auslöschen von Kultur als perversen Ausgangspunkt für privates Sammeln von Kultur akzeptieren. Sie vernichten und versetzen Objekte, die für die Menschen dort Quellen ihrer Identität sind.

Deutschland hat dabei eine besondere Verantwortung. Ganz aktuell durch die Übernahme von Verantwortung im Rahmen der Unesco-Welterbekonferenz. Historisch aus unserer eigenen Geschichte, denn wir wissen: Wer Anderen ihre kulturelle Identität raubt, verlässt den Boden der gemeinsamen Humanität. Und umgekehrt gilt: Wenn wir die Kulturgüter in der Welt schützen und ihre materielle Identität bewahren, dann schützen wir die Grundlagen des Menschseins. So ist die Rettung und Restaurierung von jahrhundertealten Manuskripten vor der Zerstörung durch Islamisten in Mali, die wir gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Partnern und darunter besonders der Gerda-Henkel-Stiftung in initiiert haben, eben nicht nur ein Beitrag zum Kulturerhalt, sondern sie erhält die Grundlage für ein kulturelles Wissen jenseits von religiösem Fanatismus und Intoleranz.

Gleiches gilt für die Anstrengungen des Deutschen Archäologischen Institutes zum Kulturerhalt in Syrien und an vielen Orten dieser Welt. In der Zusammenarbeit von Staat, Zivilgesellschaft, Forschungseinrichtungen und Museen liegt eine der wesentlichen Stärke der Auswärtigen Kulturpolitik und in diesem Zusammenwirken ist Auswärtige Kulturpolitik nichts anderes als das Einüben und Schützen von Humanität. Ob durch die kulturelle Arbeit in Flüchtlingslagern oder mit urban refugees in Aufnahmeländern – auch hier bei uns! - oder eben durch unsere Bemühungen um den Kulturerhalt: Es geht darum, die soziale Kraft von Kultur zu stärken.

Deswegen müssen wir in Europa und Deutschland auch den Schutz vor illegalem Handel mit Kulturgütern verstärken. Bislang bietet das geltende Recht zu wenige Möglichkeiten, um entschlossen gegen diesen illegalen Handel vorzugehen. Gemeinsam mit der Kulturstaatsministerin haben wir dieses Thema im vergangenen Winter auf die Tagesordnung einer internationalen Konferenz gesetzt und unterstützen sie in ihrem Entwurf eines neuen Kulturgüterschutzgesetzes, der endlich die Verantwortung nicht länger beim geschädigten Land verortet, das Listen geschützter Gegenstände erarbeiten muss, sondern beim Händler, der eine Lizenz zur Ausfuhr aus dem Herkunftsland vorlegen muss.

Bei der nationalen Gesetzgebung können und wollen wir aber nicht stehen bleiben. Deswegen haben wir bereits vor einigen Jahren einen besonderen europäischen Schutz für irakische und später auch syrische Kulturgüter in der EU durchgesetzt und wollen diesen Schutz künftig noch erweitern. Vor allem aber haben wir in der vergangenen Woche gemeinsam mit dem Irak in der Generalversammlung der Vereinten Nationen den Entwurf einer Resolution zum Schutz des Weltkulturerbes vorgestellt. Wir fordern eine Verurteilung der barbarischen Zerstörungen durch die Völkergemeinschaft. Zweitens sollen Maßnahmen gegen den illegalen Handel verstärkt und die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen intensiviert werden – auf internationaler wie auf nationaler Ebene. Nicht zuletzt brauchen wir eine bessere internationale Zusammenarbeit zum Schutz, zur Dokumentation und zum Wiederaufbau des kulturellen Erbes.

Bei dieser rechtlichen Ebene können und wollen wir aber nicht stehen bleiben. Europa hat eine Verantwortung, die über das Normative hinausgeht. Der Archäologe Stephan Sedlmayer hat das am Beispiel Ägyptens so formuliert: „Die Aneignung des Alten Ägyptens durch Europa vollzog sich auch in der Form einer Enteignung“. In dieser Feststellung liegt auch mit Blick auf die Zerstörung von Kulturgütern in Syrien und Irak ein aktueller Auftrag an unsere Museen, Forschungseinrichtungen und die Politik. Ein zeitgemäßer Schutz des kulturellen Erbes bedeutet eben auch, dieses durch gemeinsame Forschung, gemeinsame Maßnahmen der kulturellen Bildung und gemeinsame Museumsarbeit wieder in den Ursprungsländern nutzbar zu machen.

Das Deutsche Archäologische Institut als die Forschungseinrichtung des Auswärtigen Amtes setzt dabei international Maßstäbe und hat hier mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und anderen deutschen Museen hervorragende Partner. Gemeinsam werden wir ein Archeological Heritage Network gründen, das diese Kompetenzen bündelt und von der kulturellen Bildung über die gemeinsame Grabungen und Restaurierungen bis hin zur wissenschaftlichen Auswertung für aktuelle Fragen wie den nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen nutzbar macht und vor allem eines gewährt: Zugang zum kulturellen Erbe der Welt hier in Berlin sowie das gemeinsame Erarbeiten von Weltwissen. Ich bin sicher, eine so verstandene aktive Politik des Kulturerhalts wird auch für das Humboldtforum eine positive Rolle spielen und unseren Blick auf die großen Zusammenhänge der Weltkulturen schärfen.

Frank-Walter Steinmeier

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