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Rede von Staatsminister Erler bei der Veranstaltung „Creating the conditions for further disarmament - What a role for NATO?“ am 12. November 2008 in Berlin

13.11.2008 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Liebe Pia Bungarten,
Sehr geehrter Minister Rotfeld,
Werte Kollegen Abgeordnete,
Sehr geehrter Herr Gill,

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich, heute Abend bei dieser Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung über Voraussetzungen und Perspektiven der nuklearen Abrüstung sprechen zu können. Dabei werde ich zunächst die Ausgangslage darlegen und dann auf die Themen Barack Obama und die nukleare Abrüstung, die NATO und die nukleare Abrüstung sowie Nichtverbreitung als zentrales politisches Ziel eingehen. Eine kurze Schlussbemerkung wird meinen Vortrag beenden.

Die Voraussetzungen für nukleare Abrüstung in der heutigen Welt sind ohne Zweifel schwierig. Beinahe zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges stehen wir vor großen, eher wachsenden Herausforderungen. Das wird auch an einigen Zahlen klar:

  • Auch wenn sich die Zahl der Atomwaffen seit den Hochzeiten des Kalten Krieges verringert hat, sind doch die erreichten Abrüstungsfortschritte unzureichend. Noch immer existieren weltweit mehr als 25.000 atomare Sprengköpfe, von denen circa 95 Prozent noch in Händen von Russland und den USA liegen.

  • In 40 Staaten der Welt lagern fast 3.000 t Spaltmaterial, aus denen theoretisch weitere 250.000 Kernwaffen gebaut werden könnten.

  • Zugleich stehen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, die Entstehung neuer Atomwaffenstaaten zu verhindern, vor komplexen Aufgaben. Im Mittleren Osten, auf der koreanischen Halbinsel oder in Südasien existieren regionale Rivalitäten, die auch eine nukleare Dimension haben. Teilweise drohen neue atomare Rüstungswettläufe. Der nordkoreanische Atomtest vor zwei Jahren war eine deutliche Warnung, dass das Streben nach Kernwaffen eine reale Gefahr ist.

  • Eine wachsende Anzahl von Staaten überlegt, verstärkt die Kernkraft zur Energiegewinnung zu nutzen. Der damit einher gehende zusätzliche Bedarf an angereichertem Kernbrennstoff steigert auch die Gefahr, dass friedliche Kerntechnik für den Atomwaffenbau missbraucht wird. Nicht zuletzt der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed ElBaradei, hat vor der Entstehung „virtueller“ Atomwaffenstaaten gewarnt, wenn der nukleare Brennstoffkreislauf geschlossen wird und die Fähigkeit zur Urananreicherung oder Wiederaufbereitung vorhanden ist.

Trotz solcher beunruhigenden Entwicklungen glaube ich, dass die Perspektiven für eine Wiederbelebung der nuklearen Abrüstung gegenwärtig besser sind als seit langem. In den letzten Jahren ist das Bewusstsein gewachsen, dass ein „mehr“ an Nuklearwaffen die Welt nicht sicherer, sondern eher unsicherer macht. Dies ist ein guter Zeitpunkt für eine breite öffentliche Debatte, die auch in der NATO geführt werden muss, um über Perspektiven für nukleare Abrüstung nicht nur zu sprechen, sondern auch entsprechende Voraussetzungen für Fortschritte zu schaffen.

Ein Grund für diesen Optimismus ist die parteiübergreifende Initiative der vier amerikanischen „elder statesmen“ Henry Kissinger, Sam Nunn, Bill Perry und George Shultz und die überwältigende Reaktion auf die beiden Artikel, in denen sie ihre Vision einer atomwaffenfreien Welt beschwört haben. Wenn solch gestandene Politiker, die sicher nicht als Idealisten oder Träumer bezeichnet werden können, in der Lage sind, eine anspruchsvolle Agenda zur Abschaffung aller Atomwaffen zu entwickeln, dann ist klar, dass dieses Ziel Eingang in die weltweite politische Diskussion, auch in den Vereinigten Staaten, gefunden hat.

Drei aktuelle Ereignisse bieten Anlass, konkret darüber nachzudenken, welche Schritte wir zur Abrüstung im Bereich der Atomwaffen unternehmen können:

  1. Natürlich der anstehende Regierungswechsel in den Vereinigten Staaten mit einem „President elect“, der sich in seiner Berliner Rede zur nuklearen Abrüstung bekannt hat

sowie

  1. der mögliche Auftrag zur Erarbeitung eines neuen Strategischen Konzepts der NATO auf dem NATO-Gipfel im April 2009 in Straßburg und Kehl

bieten Gelegenheiten, die Rolle der USA und Europas als Vorreiter kooperativer Rüstungskontrolle neu zu definieren und neu zu stärken.

  1. Weiterhin sollten wir diese beiden Ereignisse für eine erfolgreiche Vorbereitung und Durchführung der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags im Jahr 2010 nutzen, bei der es gilt, konstruktiv und durch einen offenen Dialog auch die Staaten der Dritten Welt, die Staaten des „Non-Aligned Movement“ einzubinden. Dabei muss unser gemeinsames Ziel sein, einen wirksamen Ausgleich zwischen den drei Säulen des NVV, der Abrüstung, der Nichtverbreitung und der friedlichen Nutzung der Kernenergie herzustellen. Das ist also eine große Chance, diese Überprüfungskonferenz zu einem Erfolg zu machen.

1. Präsident Obama und die notwendige Diskussion um nukleare Abrüstung im Kreis der Kernwaffenstaaten :

Die Vereinigten Staaten sind und bleiben der wichtigste Partner in der Rüstungskontrolle. Ohne Washington ist es unmöglich, nukleare Abrüstung voranzutreiben.

Wir hoffen, dass die neue Administration in Washington schnell rüstungskontrollpolitische Impulse setzen wird. Barack Obama hat mehrfach öffentlich betont, dass er einen grundlegenden Richtungswechsel in der Atomwaffenpolitik will, und er hat sich dabei explizit für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt ausgesprochen. Er strebt reale und verifizierbare nukleare Abrüstung von strategischen wie nichtstrategischen Nuklearwaffen durch Verhandlungen mit Russland an, egal ob diese einsatzbereit oder nicht einsatzbereit sind. Die Diskussion hierüber muss auch innerhalb der NATO geführt werden.

Ein weiteres wichtiges Element der nuklearen Abrüstungsagenda des designierten Präsidenten ist das möglichst baldige Inkrafttreten des Atomteststopp-Vertrags. Dessen Ratifizierung durch die USA ist lange überfällig. Vor zwölf Jahren hat Bill Clinton diesen Vertrag unterzeichnet. Die Bush-Administration lehnte es jedoch ab, das Abkommen dem Senat zur Entscheidung vorzulegen. Barack Obama hat mehrfach erklärt, dass er das US- Beitrittsverfahren zum schnellstmöglichen Zeitpunkt abschließen will. Wir sind uns bewusst, dass die neue Administration noch einige Überzeugungsarbeit im Senat leisten muss, und dass dieser Prozess möglicherweise Zeit brauchen wird. Substanzielle Fortschritte auf diesem Weg und die erkennbare Absicht der USA, den Vertrag zu ratifizieren, wären aber erste wichtige Signale, die zu einem nachhaltigen Erfolg der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags 2010 beitragen könnten.

Sollte Washington den Vertrag ratifizieren, steigt die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass andere Staaten folgen, deren Beitritt zum Inkrafttreten des Vertrags ebenfalls notwendig ist. Ein universell gültiges Verbot aller Atomtests wäre ein machtvolles Zeichen, um der Proliferation von Atomwaffen einen wirksamen Riegel vorschieben.

Die zweite zentrale Voraussetzung für Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung ist die Entspannung im amerikanisch-russischen Verhältnis. Wir brauchen Russland als Partner, um zu dauerhaften Fortschritten bei der Atomwaffenkontrolle zu kommen und eine Reihe sicherheitspolitischer Probleme anzugehen. Eine Lösung des Konflikts mit dem Iran ist beispielsweise ohne die aktive Mitwirkung Russlands nur schwer möglich.

Wir müssen deshalb zu einer Politik des fairen Interessenausgleichs zurückfinden. Die Bush-Administration hat uns die Gefahr bewusst gemacht, dass strategische Rüstungskontrollabkommen Opfer kurzfristiger Interessengegensätze werden können. Diese über Jahrzehnte gemeinsam erarbeiteten Verträge sollten stattdessen die Grundlage für eine kooperative Lösung strittiger Fragen bieten.

Der russische Präsident hat letzte Woche in seiner Jahresbotschaft, fast unmittelbar nach Auszählung der Stimmen in der US-Präsidentenwahl, angedroht, Kurzstreckenraketen im Gebiet Kaliningrad zu stationieren. Wie Außenminister Steinmeier bereits festgestellt hat, war dies das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt, und würde eine erneute, deutliche Eskalation darstellen. An einer solchen Entwicklung kann auch Moskau nicht gelegen sein!

Wir haben in den Ankündigungen von Präsident Medwedew auch die Bereitschaft vermisst, die zur Raketenabwehr bestehenden Meinungsverschiedenheiten weiterhin auf dem Weg des Dialogs zu lösen. Die Bundesregierung hat sich stets dafür eingesetzt, dass in dieser schwierigen Angelegenheit miteinander geredet und eine Lösung gesucht wird. Dies gilt sowohl für die bilateralen Gespräche zwischen Russland und den USA als auch für die Gespräche im Rahmen des NATO-Russland-Rates. Wir gehen davon aus, dass Russland mit den Ankündigungen von Präsident Medwedew – die hoffentlich nur Ankündigungen bleiben – nicht die Tür zum Dialog zugeschlagen hat. Die USA und auch Russland hatten bereits Vorschläge zur Lösung des Problems unterbreitet. Diese dürfen in der jetzigen Situation auf keinen Fall unter den Tisch fallen.

Aber glücklicherweise erreichen uns aus Russland auch andere Nachrichten.

Auf den russischen Vorschlag für ein neues Abkommen zur europäischen Sicherheit sollten wir konstruktiv eingehen. In diesem Zusammenhang hat Präsident Medwedew Moskaus Interesse an einer Stärkung und Weiterentwicklung bestehender strategischer Rüstungskontrollverpflichtungen bekräftigt. So hat er sich für ein schnelles Inkraftsetzen des CTBT, des allgemeinen Teststoppabkommens eingesetzt.

Der russische Präsident hat zudem betont, dass Moskau daran interessiert ist, den START-Vertrag über die Begrenzung weit reichender Atomwaffen durch ein neues rechtsverbindliches Abkommen zu ersetzen. Die Laufzeit des START-Vertrages ist bis Ende 2009 begrenzt. Auf seine vertrauensbildende Wirkung können wir aber nicht verzichten! Ohne den START-Vertrag würden keine gegenseitigen Inspektionen der beiden nuklearen Großmächte mehr stattfinden, so dass die Gefahr eines Rückfalls in alte Konfrontationsmuster steigen würde.

Der START-Vertrag bildet zudem ein Fundament für weitergehende Abrüstungsverpflichtungen der beiden nuklearen Großmächte. Aus unserer Sicht ist es daher wichtig, dass Russland und die Vereinigten Staaten gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, die in diesem Abkommen festgeschriebenen Bestimmungen und insbesondere die gemeinsamen Verifikationsverfahren im Rahmen eines rechtsverbindlichen Folgeabkommens fortzuführen und diese Bestimmungen auszubauen.

Es gibt gegenwärtig ein „window of opportunity“ für weitere Einschnitte in die atomaren Arsenale der beiden Seiten. Russland hat – nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen - niedrigere Obergrenzen für strategische Waffen unterhalb von 1.500 Sprengköpfen für beide Seiten ins Spiel gebracht. Auch der künftige amerikanische Präsident hat versprochen, echte und überprüfbare Einschnitte in die Atomwaffenarsenale zu erreichen. Barack Obama hat als ersten Schritt angekündigt, zügig mit Russland zu vereinbaren, dass das bestehende Verifikationssystem zum START I Vertrag über den Dezember 2009 hinaus verlängert werden soll. Hier gibt es also eine große grundsätzliche Übereinstimmung bei den Positionen, die möglichst schnell in eine dauerhafte vertragliche Vereinbarung überführt werden sollte. Diese Perspektive kann die Bundesregierung durch gute Kontakte zu beiden Seiten aktiv unterstützen.

Ich will hier hervorheben, dass es im Umkreis der neuen US-Administration noch viel weitergehende Überlegungen in Richtung einer neuen Nuklearstrategie gibt: Ivo Daalder, ein Barack Obama nahestehender Sicherheitsexperte, hat in der neuesten Ausgabe von Foreign Affairs beispielsweise das Argument eingebracht, es gebe nur noch eine verbleibende Ratio für Nuklearwaffen, die Abschreckung anderer vom Einsatz solcher Waffen.

Damit wird die Logik der derzeitigen US-Nuklearstrategie bezweifelt, wonach Kernwaffen eine glaubwürdige militärische Option zur Abschreckung unterschiedlicher Bedrohungen sein könnten. Die derzeitige Nuklearstrategie führe, so Daalder, als Kehrseite vielmehr zu einer Ermutigung der weltweiten Proliferationsrisiken.

Unter Berufung auf die Überlegungen von Shultz, Kissinger, Nunn und Perry schlägt Daalder der neuen Administration deshalb folgende fünf Schritte vor:

1. Washington erklärt die Abschreckung gegen den Einsatz von Kernwaffen zum einzigen Ziel seiner eigenen Nuklearstrategie.

2. Die USA reduzieren ihre Kernwaffen-Bestände einseitig auf 1.000 Gefechtsköpfe.

3. Einrichtung eines umfassenden internationalen Kontrollregimes für Kernwaffen und Spaltmaterial.

4. Die neue Administration erklärt das Ziel einer endgültigen Abschaffung aller Kernwaffen zur offiziellen US-Politik und setzt sich engagiert für dieses Ziel ein.

5. Nächster Schritt müsse sein, die Verbündeten der USA zu überzeugen, dass ein solcher Politikwechsel die US-Garantien für ihre Sicherheit nicht beeinträchtigen würde.

Aus meiner Sicht sollten wir einen solchen Politikansatz in unseren ersten Kontakten mit der neuen US-Administration ermutigen.

In diesem Kontext ist es begrüßenswert, dass auch Frankreich und Großbritannien jüngst neue rüstungskontrollpolitische Signale gesendet haben. Frankreich will die Stärke der „Force de Frappe“ um ein Drittel auf unter 300 Atomwaffen reduzieren. Präsident Sarkozys Aktionsplan zur Stärkung des Nichtverbreitungsregimes vom März diesen Jahres enthält wichtige Elemente. Seine Anregung, die Transparenz der Atomwaffenarsenale zu erhöhen, ist beispielsweise ein Schritt, der unsere Aufmerksamkeit verdient.

Großbritannien hat ankündigt, seinen Atomwaffenbestand auf 160 Sprengköpfe zu senken. Die damalige Außenministerin Beckett hat sich 2007 vor der Carnegie-Nichtverbreitungs-Konferenz wieder zum Ziel einer vollständigen Abschaffung aller Atomwaffen bekannt. Wir begrüßen auch den Vorschlag des damaligen britischen Verteidigungsministers Browne vor der Genfer Abrüstungskonferenz im vergangenen Februar, vor der nächsten Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags eine Konferenz einzuberufen, um das Problem einer besseren Überprüfbarkeit nuklearer Abrüstungsmaßnahmen zu diskutieren.

Solche Ansätze gilt es– auch durch Erörterungen in der NATO – weiter auszubauen.

2. Die NATO und das Thema nukleare Abrüstung:

Fragen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung werden auch auf der Tagesordnung des NATO-Gipfels im nächsten Frühjahr stehen. Dann werden wir den 60. Jahrestag der Gründung der NATO feiern und auf eine traditionelle Rolle des Bündnisses auch im Bereich der Rüstungskontrolle zurückblicken. Schon im Harmel-Bericht 1967 hatten die Bündnismitglieder neben der Schaffung glaubwürdiger militärischer Fähigkeiten die grundlegende Bedeutung von Rüstungskontrolle und Abrüstung anerkannt. Dies war eine Grundlage für das Abkommen über die Abrüstung nuklearer Mittelstreckenwaffen von 1987, aber auch für den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa.

An diese erfolgreiche Tradition gilt es anzuknüpfen. Wir erwarten, dass der Gipfel den Auftrag erteilen wird, ein neues Strategisches Konzept zu erarbeiten. Die Jahre seit Verabschiedung des derzeit gültigen strategischen Konzepts von 1999 sind ereignisreich gewesen. Die Arbeit an einem neuen Konzept wird die Gelegenheit bieten, die Bedeutung der Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung in der Allianz neu zu bewerten und zu stärken.

Unser Ziel ist klar: Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sollten wieder ihren gebührenden Stellenwert in der Allianz erhalten. Die neuen Herausforderungen und Risiken machen die Fragestellungen nicht obsolet. Das Gegenteil ist der Fall. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein norwegischer Kollege Jonas Gahr-Store haben deshalb im vergangenen Jahr eine Initiative zur Stärkung des abrüstungspolitischen Profils der westlichen Allianz angestoßen. Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im April diesen Jahres hat die Allianz – entsprechend unserer Initiative - beschlossen, Rüstungskontroll- und Abrüstungsthemen aktiv weiterzuverfolgen. Diese Ergebnisse sollten in Beratungen über ein neues Strategisches Konzept Eingang finden.

Dabei wird auch die Rolle der Nuklearwaffen im Bündnis offen zu diskutieren sein. Dieser Prozess hat bereits begonnen. Die NATO sollte die Diskussion, die in den USA begonnen hat, aufnehmen und weitertragen. In Vorbereitung des neuen Strategischen Konzepts diskutieren hochrangige Vertreter der NATO-Staaten bereits seit einiger Zeit über das zentrale und schwierige Thema der Abschreckung im Sicherheitsumfeld des 21. Jahrhunderts. Die Allianz setzt zum Schutz des Bündnisses auch auf Abschreckung, zu der auch Nuklearstreitkräfte des Bündnisses beitragen. Das strategische Konzept der NATO definiert den grundlegenden Zweck der nuklearen Streitkräfte der Allianz dabei als politisch: Wahrung des Friedens und Verhinderung von Zwang und jeder Art von Krieg. Klar ist, dass sich die Bedeutung der Nuklearstreitkräfte im neuen Sicherheitsumfeld wesentlich verändert und die Abhängigkeit der NATO von Nuklearwaffen sich weiter reduziert hat. Die Umstände, unter denen ein Einsatz von Nuklearwaffen in Betracht zu ziehen wäre, sind in Wirklichkeit in äußerste Ferne gerückt.

Auf die Frage, welche Aufgaben Nuklearwaffen aber bei der Bewältigung aktueller und künftiger sicherheitspolitischer Herausforderungen spielen können und sollen, gibt es keine einfachen Antworten. Dieses Problem kann nur gemeinsam angegangen werden. Die Bundesregierung setzt sich deshalb dafür ein, dass dieser Prozess sorgfältig und gründlich mit der für dieses Thema gebotenen Umsicht geführt wird. Dies schließt auch die Frage der sogenannten „nuklearen Teilhabe“ ein.

Umso mehr möchte ich an dieser Stelle der FES und SIPRI dafür danken, dass sie heute die Möglichkeit geschaffen haben, offen über diese Probleme nachzudenken. Wir brauchen unabhängigen Sachverstand und die Beteiligung der Parlamente und der Zivilgesellschaft, um politisch zu akzeptablen und konsensfähigen Antworten zu kommen.

Im Rahmen der NATO bietet der NATO-Russland Rat ein Forum, in dem sich das Bündnis auch über Fragen der Abrüstung mit Moskau verständigen kann und soll. Wir glauben, dass die Beratungen mit Russland bald wieder aufgenommen werden sollten. Der NATO-Russland-Rat darf aus unserer Sicht kein „Schönwettergremium“ sein. Wir brauchen ihn gerade auch in schwierigen Perioden. Mittel- und langfristig müssen wir ihn so gestalten, dass alle Beteiligten ihn als operativ und effektiv empfinden.

Ein Thema, bei dem wir Russlands Kooperation brauchen und wünschen, sind die taktischen Atomwaffen. Diese Waffen wurden einst für den Einsatz auf dem europäischen Schlachtfeld konzipiert. Vor fast zwanzig Jahren haben die Präsidenten Russlands und der Vereinigten Staaten dann ohne große Probleme unilateral sehr weitgehende Schritte zur Reduzierung dieser Relikte des Kalten Krieges durchgeführt. Aber eine abschließende Lösung des Problems der taktischen Kernwaffen steht immer noch aus.

Russland verfügt über Tausende taktischer Waffen, die außerhalb aller Kontrollmechanismen stehen. Dabei wären sie für Terroristen ideale Werkzeuge des Schreckens – klein, leicht zu transportieren und mit verheerender Wirkung. Auch hier zeigt sich, dass Atomwaffen heutzutage nicht mehr Sicherheit schaffen, sondern ein Risiko und eine Belastung darstellen. Atomwaffen dürfen nie in die falschen Hände fallen! Der beste Weg, einen Terroranschlag mit Atomwaffen zu verhindern, ist vollständige Abrüstung. Nicht zuletzt deshalb ist eine Einigung über die Abschaffung aller taktischen Atomwaffen so wichtig.

3. Unser zentrales politisches Ziel: Die Stärkung und Umsetzung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV):

Fortschritte bei den in den ersten Teilen angesprochenen Problemfeldern sind wichtige Voraussetzungen für einen Erfolg der Überprüfungskonferenz des NVV im Frühjahr 2010. Die Zeit drängt. Uns bleiben weniger als 18 Monate, um sicherzustellen, dass sich das Debakel der letzten Konferenz im Jahr 2005 nicht wiederholt. Ein erneutes Scheitern würde die Legitimität des NVV schwer schädigen. Das können wir uns angesichts der eingangs erwähnten globalen Herausforderungen wirklich nicht leisten! Denn der NVV ist und bleibt der wichtigste Rahmen und die Grundlage aller unserer Bemühungen um die Kernwaffenkontrolle.

Dieser Nichtverbreitungsvertrag aber ist ein Gegengeschäft: Der Atomwaffenverzicht von mehr als 95% aller Staaten wird auf Dauer nur Bestand haben, wenn die Atomwaffenbesitzer substanzielle und unumkehrbare Abrüstungsschritte unternehmen. Zweiklassengesellschaften sind auf Dauer instabil. Umgekehrt ist eine wirksame Eindämmung der Weiterverbreitung von Atomwaffen eine Voraussetzung, damit die Nuklearwaffenstaaten zu tiefen Einschnitten in ihre Arsenale bereit sind.

Der Ausgang der Überprüfungskonferenz wird daher auch davon abhängen, ob wir Fortschritte bei der Lösung der Krisen um die Atomprogramme des Iran und Nordkoreas erreichen. Diese beiden Staaten bleiben die größten Herausforderungen für das Nichtverbreitungsregime, denn sie haben internationale Regeln verletzt und widersetzen sich den Forderungen der internationalen Gemeinschaft, ihre Verpflichtungen zu erfüllen.

Es ist und bleibt unser gemeinsames Ziel zu verhindern, dass der Iran atomwaffenfähig wird. Iran muss die Zweifel der internationalen Gemeinschaft an dem friedlichen Charakter seines Atomprogramms ausräumen. Das heißt erstens, dass wir die volle und vorbehaltlose Zusammenarbeit des Iran mit der IAEO brauchen. Die Wiener Behörde muss alle offenen Fragen über das iranische Atomprogramm zufriedenstellend beantworten können und alle zur Überwachung vorhandenen Instrumente einsetzen dürfen. Zweitens muss der Iran seine friedlichen Absichten durch eine Suspendierung kritischer Aktivitäten untermauern. Eine Einstellung der Anreicherung ist eine völkerrechtlich verbindliche Forderung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen! Sie bedeutet keinen dauerhaften Verzicht, sondern ist ein notwendiges Signal der Vertrauensbildung.

Die EU3+3 haben dem Iran Angebote zur Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernkraft sowie im wirtschaftlichen und politischen Bereich unterbreitet. Klar ist aber auch: Solange der Iran nicht alle Forderungen der internationalen Gemeinschaft erfüllt, werden wir den Druck auch durch Sanktionen aufrechterhalten.

Im Falle Nordkoreas hat eine solche Strategie bereits zu Fortschritten geführt. Die Tatsache, dass Nordkorea unter internationaler Verifikation Teile seines Atomprogramms unbrauchbar gemacht hat, zeigt, dass glaubwürdige Angebote zur Kooperation und nicht die Drohung mit militärischen Optionen der richtige Weg sind, um regionale Krisen zu lösen. Die bisherigen Maßnahmen Pjöngjangs reichen aber noch nicht aus. Der verifizierte und unumkehrbare Rückbau der vorhandenen Atomwaffenkapazitäten bleibt eine der schwierigsten Hürden, bei der die internationale Gemeinschaft insgesamt gefordert ist.

Die Krisen um das iranische und nordkoreanische Atomprogramm machen deutlich, dass wir dringend neue Konzepte brauchen, wie ein militärischer Missbrauch der Kernenergie verhindert werden kann. Immer mehr Staaten versuchen, den Brennstoffkreislauf auszubauen. Das Problem dabei bleibt: Wer Uran anreichern oder Plutonium wiederaufbereiten kann, für den ist der Weg zur Atombombe nur kurz. Diese Risiken müssen wir minimieren, indem wir die Verbreitung sensitiver Technologien begrenzen und überprüfbar kontrollieren.

Außenminister Steinmeier hat daher bereits vor zwei Jahren einen tiefgreifenden Vorschlag zur Lösung des Problems gemacht. Unter der exklusiven Kontrolle der IAEO soll ein internationales Anreicherungszentrum errichtet werden. Eine solche Anlage wäre eine Alternative zur Errichtung nationaler Anreicherungsanlagen - wirtschaftlich profitabel und zugleich proliferationsresistent. Wir verfolgen diesen Vorschlag, der schon jetzt auf Interesse bei einer Reihe von Staaten gestoßen ist, weiterhin mit Nachdruck.

Die Attraktivität solcher multilateralen Ansätze zur Brennstoffkreislaufkontrolle steigt, wenn die Atomwaffenbesitzer ihrerseits auf die Produktion waffenfähigen Spaltmaterials dauerhaft verzichten. Der Vertrag über ein Verbot der Produktion von solchem Waffenmaterial wäre ein klares Zeichen, dass die Ära der nuklearen Aufrüstung zu Ende geht. Es wird höchste Zeit, dass in der Genfer Abrüstungskonferenz über einen solchen „Cut-Off“ Verhandlungen ohne Vorbedingungen aufgenommen werden!

Unumkehrbarkeit und Transparenz nuklearer Abrüstungsmaßnahmen sind wichtige Prinzipien, die auf der nächsten Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags bekräftigt werden müssen. Sie waren auch Teil der 13 Schritte zur nuklearen Abrüstung, deren Umsetzung die Atomwaffenstaaten im Jahr 2000 versprochen haben. Die 13 Schritte haben für uns nach wie vor Gültigkeit und sind der Maßstab, an dem die Umsetzung der im NVV enthaltenen Abrüstungsverpflichtungen gemessen werden muss.

Diese Verpflichtungen implizieren auch, dass die Atomwaffenmächte bestehende Atomwaffenarsenale nicht modernisieren. Solche Maßnahmen ständen im Widerspruch zur Zusage, die Rolle von Atomwaffen in der Sicherheitspolitik zu verringern. In einigen Fällen rufen solche Pläne sogar Zweifel an gegebenen Sicherheitsgarantien hervor.

Auf den im kommenden Frühjahr anstehenden Beratungen über die nächste Überprüfungskonferenz sollten daher die Konturen eines konsensfähigen Gesamtpakets erarbeitet werden, das beide Seiten des Problems nuklearer Rüstungskontrolle – Abrüstung und Nichtverbreitung – angemessen reflektiert. Dabei müssen die Kernwaffenstaaten insbesondere die bereits eingegangenen Verpflichtungen aus den Jahren 1995 und 2000 erneut bekräftigen.

Ich komme jetzt zu meiner Schlussbemerkung:

Abrüstung und Nichtverbreitung stehen in einem unauflösbaren Zusammenhang. Die Bedeutung der Atomwaffen insgesamt muss verringert, das nukleare Tabu gestärkt werden. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon hat Ende Oktober in New York in einer Rede vor dem „East-West-Institute“ festgestellt, dass die Doktrin der nuklearen Abschreckung ansteckend wirke:

Das hat Nichtverbreitung erschwert und damit die Risiken vergrößert, dass Nuklearwaffen eingesetzt werden,“

so die deutliche Warnung des Generalsekretärs, die er mit der Forderung an die Atomwaffenstaaten verknüpfte, Verhandlungen über wirksame Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung aufzunehmen.

Die NATO muss in diesem Sinne auch in der Rüstungskontrolle eine konstruktive Kraft bleiben und entsprechend ihrem Strategischen Konzept „aktiv zur Fortentwicklung von Rüstungskontroll-, Abrüstungs- und Nichtverbreitungsübereinkommen sowie zu vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen beitragen“. Diesem letzten Anspruch ist die NATO in den vergangenen Jahren leider nicht in vollem Umfang gerecht geworden. Wir wünschen uns, dass die NATO wieder stärker als transatlantisches Forum zur Formulierung gemeinsamer Strategien auch und gerade in der Rüstungskontrolle genutzt wird! Wir wünschen uns darüber hinaus, dass der Dialog mit Moskau gerade auch im NATO-Russland-Rat über diese Fragen bald wieder aufgenommen wird.

Ich will mit den Worten des designierten Präsidenten Barack Obama bei seiner Berliner Rede im Juli schließen:

„Dies ist der Moment, in dem wir das Ziel einer Welt ohne Nuklearwaffen erneuern müssen. Die beiden Supermächte, die sich an der Mauer dieser Stadt gegenüberstanden, waren zu oft zu nahe daran, alles zu zerstören, was wir aufgebaut haben und was wir lieben. Nachdem diese Mauer gefallen ist, brauchen wir nicht untätig danebenzustehen und die weitere Verbreitung des tödlichen Atoms zu beobachten. Es ist Zeit, alle unkontrollierten Nuklearmaterialien zu sichern, die Ausbreitung nuklearer Waffen zu beenden, und die Arsenale einer vergangenen Epoche zu reduzieren. Dies ist der Moment, die Arbeit zu beginnen und den Frieden einer nuklearwaffenfreien Welt zu suchen.“ (1)

To seek the peace of a world without nuclear weapons“ ist eine gute transatlantische Arbeitsbasis für die Zukunft!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(1) This is the moment when we must renew the goal of a world without nuclear weapons. The two superpowers that faced each other across the wall of this city came too close too often to destroying all we have built and all that we love. With that wall gone, we need not stand idly by and watch the further spread of the deadly atom. It is time to secure all loose nuclear materials; to stop the spread of nuclear weapons; and to reduce the arsenals from another era. This is the moment to begin the work of seeking the peace of a world without nuclear weapons.”

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