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Laudatio bei der Verleihung des Viktor-Gollancz-Preises an Frau Dr. Halima Bashir

09.12.2008 - Rede

Sehr geehrte Frau Gollancz,
sehr geehrte Frau Dr. Bashir
sehr geehrter Herr Zülch
sehr geehrte Damen und Herren!

Es ist mit eine große Ehre, heute anlässlich der Verleihung des Viktor Gollancz Preises die Laudatio auf Dr. Halima Bashir halten zu dürfen: einer Frau, die trotz aller schrecklichen Erfahrungen , die Sie machen musste, den Mut aufgebracht hat, das einzig richtige zu tun — im Angesicht von Mord und Leid nicht zu schweigen—.

Frau Dr. Halima Bashir kommt aus Darfur. Sie ist eine Tochter des Stammes der Zaghawa, eines stolzen Volkes, das auf seine Ehre großen Wert legt und seine Familien unter allen Umständen vor Leid und Erniedrigung beschützen will. In Darfur sind die Zaghawa für ihren Fleiß und ihren Wohlstand bekannt. Sie besiedeln das Grenzgebiet zwischen Sudan und Tschad schon seit Jahrhunderten.

Im Jahr 2003 kam eine Katastrophe über die Zaghawa: Der Ausbruch des Krieges in Darfur. Die Ursachen für diesen Krieg sind vielfältig, und ihnen hier nachzugehen, soll nicht das Thema dieses Abends sein.

Im Mittelpunkt steht heute Dr. Halima Bashir und ihre mutige Tat. Aus Angst vor Repressalien gegen ihre Familie schreibt sie unter einem Pseudonym, ihr wirklicher Name muss unbekannt bleiben.

Frau Dr. Halima Bashir ist Ärztin und lebt jetzt in Großbritannien.

Sie wurde in Darfur geboren. Obwohl sie in einer abgeschiedenen Gegend aufwuchs und die traditionelle Rolle der Frau bei den Zaghawa eine Berufstätigkeit im Sinne der westlichen Welt nicht vorsieht, begann sie eine brillante schulische und akademische Karriere, studierte Medizin in Khartum und begann ihre Arbeit als Ärztin in der Nähe ihres Heimatdorfes. Schon früh interessierte sie sich für Politik. Sie äußert ohne Scheu ihre Meinung zum Konflikt in Darfur. In einem Land wie Sudan, wo die Pressezensur alltäglich und allgegenwärtig ist, ist dies lebensgefährlich. Nach kritischen Bemerkungen gegenüber einer Zeitung wurde sie verhaftet und intensiv verhört. Schließlich wurde sie freigelassen, jedoch an einen Gesundheitsposten in ein Dorf im äußersten Norden Darfurs versetzt.

Dort war die Situation zunächst ruhig. Der Krieg kam jedoch auch ihrem Krankenhaus immer näher. Immer öfter musste sie Wunden von Kriegsverletzen behandeln. Eines Tages überfielen Janjahweed mit Unterstützung von Regierungssoldaten die Mädchenschule des Ortes. Nach dem Angriff behandelte Dr. Bashir über 40 Vergewaltigungsopfer. Die Vereinten Nationen meinen, dass die Zahl der tatsächlichen Opfer – auch jener, die keine ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen oder zu nehmen wagten – wesentlich höher lag. Aus Scham ließen viele Eltern ihre Töchter nicht behandeln. Viele der Mädchen waren erst zwischen 7 und 13 Jahren alt. Wenige Tage nachdem Dr. Bashir auch Beobachtern der Vereinten Nationen über diese Taten der Janjahweed berichtet hatte, wurde sie wieder von der Geheimpolizei aufgesucht. Sie wurde verschleppt, geschlagen, selbst vergewaltigt. Ihr Heimatdorf wurde wie viele andere Dörfer niedergebrannt, ihr Vater getötet. Viele Mitglieder ihrer Familie werden bis heute vermisst. Sie selbst war gezwungen, mit Hilfe von Schleusern nach Großbritannien ins Exil zu gehen.

Über diese schrecklichen Vorkommnisse, aber auch über die Schönheit ihrer Kindheit in Darfur, hat Frau Dr. Bashir ein Buch geschrieben, „Tears of the Desert“, auf Deutsch „Halima. Mein Weg aus der Hölle von Darfur“. Das Buch von Frau Bashir schildert zunächst auf wunderbare Weise den Lebensalltag in der dörflichen Kultur der Zaghawa-Gemeinschaft. Nach und nach wird das Leben jedoch immer mehr von der ausbrechenden Gewalt überschattet. Mit der Wiedergabe ihrer persönlichen Erfahrungen gibt sie nicht nur eine eindrückliche Schilderung über die Schrecknisse des Darfurkonflikts, sondern sie bricht das Schweigen jener Opfer, die aus Scham, aus Angst vor weiteren Gräueltaten, aus Hilflosigkeit nicht über solche Dinge reden können oder wollen.

Um so mehr ist der Mut von Frau Dr. Bashir zu würdigen. Sie will über Darfur reden. Die Welt soll von dem, was dort geschieht, erfahren. Vielleicht kann Öffentlichkeit dem Krieg und den Gräueltaten Einhalt gebieten. Dr. Bashir gibt den vielen namenlosen Opfer eine Stimme und ein Gesicht - ungeachtet der für sie negativen Konsequenzen. Ihre Aussage ist in den UN Dokumenten zum Nachweis von Menschenrechtsverletzungen in Darfur dokumentiert. Ihr Buch erscheint in Europa und in Nordamerika. Ihre Angaben können als Beweismittel in den zukünftigen Prozessen gegen die Täter der Darfurverbrechen genutzt werden, ob vor Gerichten im Sudan oder vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Ihr Buch will uns wachrütteln und uns auffordern zu handeln, etwas zu tun, um dem Morden und Vergewaltigen im Suden Einhalt zu gebieten.

Die schweren Verbrechen, die in Darfur begangen worden sind, dürfen nicht ungesühnt bleiben. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat den Fall Darfur an den internationalen Strafgerichtshof überwiesen. Alle, die an Verbrechen gegen die Menschlichkeit und an Kriegsverbrechen beteiligt waren oder es noch sind, müssen mit Strafverfolgung rechnen. Anklagen und Haftbefehle gegen einen Staatsminister der sudanesischen Regierung und gegen einen Janjahweedführer liegen bereits vor. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs hat den Erlass eines Haftbefehls gegen den amtierenden sudanesischen Staatspräsidenten Omar Al-Bashir beantragt, ein bisher noch nie da gewesener Schritt. Auch Anklagen gegen Rebellen, die humanitäre Hilfstransporte beraubten und dazu die Soldaten der UN/ AU-Friedenstruppen in Darfur aus dem Hinterhalt ermordeten, werden vorbereitet.

Oft ist zu hören, Frieden müsse Vorrang vor Gerechtigkeit haben. Um Frieden zu erreichen, so wird argumentiert, müssten Konzessionen auch gegenüber den Tätern schlimmer Menschenrechtsverletzungen gemacht werden. Meine Damen und Herren, es sind die Menschenrechtsverbrechen, die den Frieden gefährden, nicht deren Verfolgung! Wir können nicht einen unabhängigen internationalen Strafgerichtshof errichten, uns dann aber über politische Schwierigkeiten beklagen, wenn dieser seine Arbeit tut!

Deutschland und Europa sind mit erheblichem Einsatz dabei, die humanitäre Lage der Bevölkerung in Darfur zu verbessern. Allein die Bundesregierung hat bisher über 60 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in Darfur ausgegeben, die EU hat inklusive eines weiteren deutschen Beitrags von 50 Mio. Euros weitere 400 Millionen Euro bereitgestellt. Deutsche Soldaten und Polizisten sind bei UNAMID tätig, um die Mission zum Schutz der Zivilbevölkerung in Darfur zu befähigen. Doch das allein wird nicht reichen. Ich fordere alle am Konflikt Beteiligten auf, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen und die Kämpfe und Überfälle einzustellen. Nur ein politischer Ausgleich kann Darfur wieder den Frieden bringen!

Liebe Frau Dr. Bashir, sie erhalten heute den Viktor Gollancz Preis.

Viktor Gollancz hat als Verleger und Publizist ein Beispiel für dieses unerschrockene Auftreten gegeben. Er war einer der ersten, der die Verbrechen des Nationalsozialismus durch umfassende Dokumentation anklagte, und der mit seinem Verlag sozial und politisch kritische Schriften einem breiten Publikum zugängig machte. Diese Veröffentlichungen sollten das Gewissen der Leser aufrütteln und in der öffentlichen Meinung Druck erzeugen, Maßnahmen umzusetzen, um die bedrohten Opfer zu retten, zumindest einige von ihnen. Und nach der Schilderung der grauenvollen Vernichtungspraktiken wendet er sich an seine Leser und fragt: „Nein, niemand kann sagen er habe nicht gewusst, und nun frage ich dich selbst Leser, was hast Du dagegen unternommen? Nichts ? Warum?“

Es ist wichtig, nicht zu schweigen und den Opfern eine Stimme zu geben. Die Stimme der Opfer ist es, die uns zum Handeln aufruft und auf die wir hören müssen. Der Preis will daher die Stimmen auszeichnen, die sich in der Tradition von Victor Gollancz gegen diese Verbrechen erheben und anklagen.

Auch Dr. Halima Bashir ist eine dieser Stimmen. Mit ihrem Buch hat einen maßgeblichen Anteil daran, dass die Welt erfahren hat, was in Darfur vor sich geht. Sie hat einen wesentlichen Anteil daran, dass Deutschland sich in Darfur engagiert, und das wir mit unseren europäischen Partnern alles, was wir können, dazu beitragen, um das Leid der Bevölkerung in Darfur zu lindern und den Krieg zu beenden.

Mit diesem Preis würdigen wir ihr unerschrockenes Eintreten für die Opfer des Krieges in Darfur, für ihren Mut das Schweigen zu brechen und die Verbrechen anzuklagen. Ich gratuliere Ihnen herzlich zu dieser Preisverleihung und wünsche Ihnen für ihre Zukunft alles Gute!

Ich danke Ihnen!

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