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Rede von Staatsminister für Europa Michael Roth beim Neujahrskonzert der Visegrád Gruppe unter dem Vorsitz der Slowakischen Republik

29.01.2015 - Rede

--es gilt das gesprochene Wort--

Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

die heutige Veranstaltung blickt mittlerweile auf eine lange Tradition zurück. Und auch ich habe nun bereits zum zweiten Mal das Vergnügen, Sie zum Neujahrskonzert begrüßen zu dürfen. Bereits im vergangenen Jahr habe ich dies unter dem Vorsitz Ungarns getan. Ich erinnere mich gerne an das Orgelkonzert im Berliner Dom.

In diesem Jahr hat nun die Slowakische Republik den Vorsitz in der Visegrád-Gruppe inne und führt die bewährte Tradition der Neujahrskonzerte fort. Herr Botschafter Slobodník, der Rahmen stimmt, und das Programm klingt vielversprechend – Ihnen und Ihrem Team dafür schon einmal vorab herzlichen Dank!

Das kulturelle Programm Ihrer Neujahrsempfänge ist auch ein klares politisches Statement: Sie untermauern damit die enge Verbundenheit und vertrauensvolle Zusammenarbeit Ihrer vier Länder. Dabei hat jedes Land für sich ganz Unterschiedliches einzubringen. Jedes Jahr zeigt das Programm eine ganz andere künstlerische Facette. So bunt und vielfältig wie Ihre Länder eben sind – und Europa auch.

Trotz all der bereichernden Vielfalt: Die Grundidee der Visegrád-Zusammenarbeit beruht auf einer simplen Einsicht: Gemeinsam ist man stärker! Eine Staatengruppe mit einer ähnlichen historischen Ausgangsposition und vielen gleichen Interessen hat viel größere Chancen, in Europa Gehör zu finden, als wenn die Slowakei, Polen, Ungarn oder die Tschechische Republik auf sich alleine gestellt wären. Aber gemeinsame Stärke bedeutet eben nicht nur, mit vereinten Kräften gemeinsame politische Interessen durchzusetzen. Auch ein gemeinsames Wertefundament macht stark.

Die Idee der Visegrád-Zusammenarbeit beruht auf einem gemeinsamen Verständnis: die europäische Idee, die mit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zur politischen Wirklichkeit wurde. Heute kennen wir Europa als Erfolgsgeschichte, als eines der erfolgreichsten Friedens- und Kooperationsprojekte der Geschichte. Dafür wurde die Europäische Union 2012 auch zurecht mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Jede Auszeichnung ist Ansporn und Verpflichtung zugleich. Wir ringen derzeit gemeinsam um Frieden und Ausgleich in einem Europa, an dessen Rändern es leider wieder gewaltsame Auseinandersetzungen gibt. Die Lage in der Ost-Ukraine hat sich in den vergangenen Tagen erneut gefährlich zugespitzt. Die Gefahr einer offenen militärischen Konfrontation zwischen Russland und der Ukraine liegt nach wie vor in der Luft. Wir haben als EU von Beginn an klar gemacht: Wir können nicht akzeptieren, dass Russland die europäische Friedensordnung massiv beschädigt, grundlegende Prinzipien des Völkerrechts in Frage stellt und Europa damit an den Rand einer neuen Spaltung führt.

Allen Unkenrufen zum Trotz sind wir in den vergangenen Monaten geschlossen und in enger Abstimmung vorgegangen –– sowohl gegenüber Russland als auch bei der Begleitung der Ukraine auf ihrem Weg der demokratischen Stabilisierung und nationalen Versöhnung. Wir haben gezeigt: Es gibt keine deutsche, keine slowakische oder polnische Antwort auf diese Krise. Es kann nur eine europäische Antwort geben!

Denn wenn die EU ihr ganzes Gewicht als Vermittler und Krisenhelfer in die Waagschale werfen will, dann gelingt das nur, wenn wir außenpolitisch mit einer Stimme sprechen. Bislang ist uns das in der Ukraine-Krise gut gelungen. Wir dürfen uns auch künftig nicht auseinanderdividieren lassen! Ich kann nur vor neuen Spaltungen warnen. Sie würden die EU und Ihre 28 Mitgliedstaaten gefährlich schwächen. Die Nachrichten der vergangenen Tage beunruhigen sicher nicht nur mich.

Und Geschlossenheit ist nicht nur in der Außen- und Sicherheitspolitik gefragt. Wenn es darum geht, das Klima zu schützen, die Finanzmärkte zu regulieren, internationale Handelsströme zu steuern, oder effektiv, aber vor allem solidarisch und menschenwürdig, internationalen Flüchtlingsströmen zu begegnen – dann gelingt dies nur durch gemeinsames europäisches Handeln! Denn gerade bei diesen globalen Fragen stoßen die Nationalstaaten alter Prägung – im wahrsten Sinne des Wortes – an ihre Grenzen.

In unserer globalisierten Welt kann ein Rückfall in die Zeit des klassischen Nationalstaats nur in eine Sackgasse führen. Ein Sackgasse für denjenigen, der diesen Weg beschreitet. Aber auch eine Sackgasse für die Partner, denen gegenüber man die Verpflichtung zu solidarischem Handeln eingegangen ist. Fakt ist: Wir alle sind in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts viel zu klein, um unsere Interessen alleine wahrzunehmen: Nur in und über Europa werden wir sie wahrnehmen können. Nur gemeinsam sind wir stark!

Und vielleicht können wir dieser Tage, nach den schrecklichen Terroranschlägen in Frankreich, auch gemeinsam die Chance ergreifen, wieder näher zusammen zu rücken, uns wieder mehr auf das besinnen, was uns eint, und nicht was uns spaltet.

Und wenn uns eines eint in Europa, dann sind das unser gemeinsames kulturelles Erbe und unsere Traditionen. Wie passend also, dass das heutige Kulturprogramm unter dem Motto „Tradition einfach anders“ steht. Unsere slowakischen Gastgeber präsentieren uns gleich „ein Multi-Genres-Programm, in dem es um die Konfrontation der traditionellen Musik mit der Non-Folklore geht“.

Das, meine Damen und Herren, trifft recht genau den Ton der Zusammenarbeit in der Visegrád-Gruppe und in der Europäischen Union: Wir alle kommen nach Europa mit unserer jeweils eigenen Geschichte und Identität. Wir treffen dabei auf Neues und Unbekanntes, bleiben aber offen und neugierig.

Und oft hilft es ja auch, die komplexe Welt einmal durch eine andere „kulturelle Brille“ zu betrachten, um sie besser zu verstehen. Beeindruckt hat mich beispielsweise, wie der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecký seine Art zu Schreiben beschreibt. Er hat es so auf den Punkt gebracht: „Am liebsten würde ich zuerst die slowakische Version schreiben, diese dann ins Deutsche übersetzen lassen und dann wieder zurück ins Slowakische. Eine Übersetzung hat nämlich die Fähigkeit, sowohl die starken als auch die schwachen Seiten eines Textes zu offenbaren. Übersetzen ist für mich ein kreativer Prozess, aus dem ich viel gelernt habe.“

Vielleicht inspiriert es uns ja, Europa heute Abend mal durch die „slowakische Brille“ zu betrachten. Die Positionen des anderen wahrnehmen, sich selbstkritisch befragen und dadurch am Ende zu besseren Ergebnissen kommen – darum geht es doch letztlich auch in der EU. Ob in der Literatur, in der Musik oder in der Politik: Europa ist und bleibt eine Gemeinschaftskomposition.

Wir „komponieren“ sozusagen das, was wir tun, zeitgemäß, ansprechend, ohne uns selbst zu verleugnen. Wir finden den neuen Ton: Wir und Europa, Geschichte und Zukunft.

In diesem Sinne wünsche ich diesem Abend einen hoffnungsfrohen und zugleich fröhlichen Verlauf. Ich wünsche der Slowakischen Republik und uns allen in unserem gemeinsamen Haus Europa ein Leben in Frieden, Freiheit, Wohlstand, Solidarität. Meine guten Wünsche für 2015 begleiten Sie!

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