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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth in der Ersten Lesung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher bewaffneter Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Mission am 1. Dezember 2016 im Deutschen Bundestag

01.12.2016 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Unser Engagement in Afghanistan währt nun bereits 15 Jahre. Als wir im Dezember 2001 hier im Deutschen Bundestag erstmals über den Afghanistan-Einsatz beraten haben, war das Mandat für die Entsendung deutscher Soldatinnen und Soldaten zunächst auf nur sechs Monate befristet. Schon damals ahnten allerdings viele in diesem Haus: Das dürfte eine echte Generationenaufgabe werden! Und so ist es dann ja auch gekommen.

15 Jahre später bleibt Afghanistan – trotz großer Fortschritte in einigen Bereichen – weiter auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Und wir stehen weiterhin zu unserer gemeinsamen Verantwortung für Stabilität und Sicherheit in Afghanistan. Beim NATO-Gipfel am 8. Juli in Warschau und bei der Afghanistan-Geberkonferenz am 5. Oktober in Brüssel hat die internationale Gemeinschaft den afghanischen Partnern abermals versichert: Wir lassen Euch nicht im Stich, erst recht nicht in schwierigen Zeiten!

Gemeinsam sind wir bereit, Afghanistan in den kommenden Jahren weiter auf seinem schwierigen Weg zu unterstützen. Am Ende dieses Weges steht ein klares Ziel: Afghanistan muss sicherer und stabiler werden, damit die Menschen in ihrer Heimat endlich wieder Hoffnung schöpfen können, Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit, einen Job und Freiheit.

Was leistet die Bundesregierung also ganz konkret in Afghanistan?

Die Verlängerung der NATO-Ausbildungs- und Beratungsmission „Resolute Support“ ist ein wichtiger Baustein. Durch die Präsenz von bis zu 980 deutschen Soldatinnen und Soldaten in der NATO-Mission „Resolute Support“ sichern wir militärisch ab, was wir politisch und zivil erreichen wollen. Durch unser fortgesetztes Engagement wollen wir der afghanischen Regierung die Rückendeckung geben, um den dringend notwendigen Friedensprozess einzuleiten und die Reformagenda weiter umsetzen.

Daneben bringt die Bundesregierung in Afghanistan aber auch die gesamte Bandbreite des außenpolitischen Instrumentariums zum Einsatz. Insgesamt beläuft sich unsere finanzielle Unterstützung auf 510 Mio. Euro jährlich – davon 80 Mio. Euro für die afghanische Armee, 70 Mio. Euro für die afghanische Polizei, 250 Mio. Euro in der Entwicklungszusammenarbeit und 110 Mio. Euro in weiteren Stabilisierungsprojekten. In keinem Land engagieren wir uns stärker.

Im Rahmen dieses Engagements fördert die Bundesregierung u.a. den Polizeiaufbau in Afghanistan, berät die afghanische Regierung im Flüchtlingsrecht, unterstützt Binnenvertriebene in Nordafghanistan und beteiligt sich am Aufbau staatlicher Strukturen und der Infrastruktur. Wer unser Engagement beim Bau von Schulen, Krankenhäusern und Straßen einfordert, kann sich der Verlängerung von RSM nicht verschließen!

Damit ist Deutschland nach den USA der zweitgrößte bilaterale Geldgeber in Afghanistan. Klar ist aber auch: Wir stellen für Afghanistan keine Blankoschecks aus. Die Bundesregierung hat die finanzielle Unterstützung ausdrücklich an strenge Bedingungen geknüpft. Wir erwarten, dass die afghanische Regierung ihren Teil der Abmachung einhält, etwa bei der Beachtung von Menschenrechten oder bei der Bekämpfung von Korruption. Auch in Migrationsfragen erwarten wir eine bessere Zusammenarbeit. Das geschieht bisher noch unzureichend – wir werden das weiter mit Nachdruck in Kabul einfordern.

Afghanistan bedarf auch weiterhin unserer Unterstützung, damit die in den vergangenen Jahren erreichten Fortschritte nicht zurückgedreht werden. Die Menschen in Afghanistan müssen endlich wieder eine Perspektive für ein Leben in Frieden, Freiheit und wirtschaftlicher Sicherheit in ihrem Land sehen.Der Mandatsantrag regelt die weitere Beteiligung deutscher bewaffneter Streitkräfte an „Resolute Support“ – gemeinsam mit unseren Partnern. Das Mandat bleibt im Grundsatz unverändert. „Resolute Support“ wird auch 2017 kein Kampfeinsatz sein. Eine unmittelbare Beteiligung an der Terror- oder Drogenbekämpfung ist auch weiterhin nicht vorgesehen. Der Auftrag der bis zu 980 deutschen Soldatinnen und Soldaten bleibt auf die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte beschränkt.

Dass diese Perspektive derzeit leider nicht überall in Afghanistan gegeben ist, belegen auch die aktuellen Zahlen aus Deutschland: Seit Beginn des Jahres 2016 haben allein in Deutschland mehr als 120.000 Afghaninnen und Afghanen einen Asylantrag gestellt. Deutschland reagiert mit großer Hilfsbereitschaft, die Hälfte der Antragsteller aus Afghanistan hat Anspruch auf internationalen Schutz. Fakt ist aber auch, dass viele Afghaninnen und Afghanen ihr Land aus wirtschaftlichen Motiven verlassen.

Ich will dieses Dilemma sehr offen ansprechen: Einerseits versuchen wir, in Afghanistan Stabilität zu schaffen und das Vertrauen in die staatlichen Strukturen zu erhöhen. Andererseits kann kein Vertrauen entstehen, wenn immer mehr junge Menschen das Land verlassen. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen. Wir können nur in die Zukunft Afghanistans investieren, wenn auch das afghanische Volk an diese Zukunft glaubt.

Auch hier setzen wir als Bundesregierung mit vielen konkreten Projekten vor Ort an.

Bisweilen sind es die kleinen Dinge des Alltags, die Hoffnung machen: So ist es bewegend zu sehen, wie mit der Eröffnung einer einzigen Schule Hunderten von Kindern und Jugendlichen wieder eine Perspektive geschenkt wird. Oder wie mit Mikrokrediten Hunderte von neuen Start-Ups entstehen, die den Menschen vor Ort wieder Arbeit geben.

Jede dieser kleinen Erfolgsgeschichten bringt das Land und die Menschen unserem gemeinsamen Ziel ein Stück näher: Ein Land, das auf eigenen Füßen steht und das endlich zur Normalität zurückkehren kann.

Afghanistan dauerhaft zu befrieden und zu stabilisieren, ist eine Generationenaufgabe. Aber unsere Unterstützung für Afghanistan ist mitnichten eine Einbahnstraße, sondern wir haben auch die klare Erwartung, dass die afghanische Regierung Schritt für Schritt wieder die Verantwortung für Stabilität und Sicherheit im eigenen Land übernimmt.

Seit dem Ende der ISAF-Mission 2014 tragen die afghanischen Sicherheitskräfte die alleinige Verantwortung für die Sicherheit in ihrem Land. Die afghanischen Streitkräfte hatten es vor allem durch den Wegfall der Luft-Nah-Unterstützung schwer und mussten hohe Verluste beklagen. Militante Gruppen, insbesondere die Taliban, liefern sich an vielen Orten immer wieder Gefechte mit den staatlichen Sicherheitskräften oder begehen Anschläge.

Aber wir sollten auch anerkennen: Insgesamt hat die afghanische Armee bisher besser als erwartet standgehalten. Den Taliban ist es trotz mehrfacher erbitterter Versuche bisher nicht gelungen, auch nur eine einzige Provinzhauptstadt dauerhaft einzunehmen. Auch die Terrororganisation Daesh konnte ihren Einfluss in Afghanistan nicht ausweiten. Stattdessen konnte sie fast vollständig zurückgedrängt werden.

Dennoch: Wie angespannt die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor ist, hat uns auch der Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-e Scharif vor wenigen Tagen gezeigt. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der afghanischen Opfer dieses Anschlags. Gleichzeitig sind wir dankbar, dass die schlagkräftige gemeinsame Reaktion der Sicherheitskräfte verhindern konnte, dass es zu noch mehr Opfern kam. Das zeigt auch: Wir werden uns solchen terroristischen Anschlägen nicht beugen. Wir werden unser Engagement in Afghanistan gemeinsam mit unseren Partnern fortsetzen.

Die Gewalt, die auch heute noch von den Taliban in Afghanistan ausgeht und das Leid der Bevölkerung können rein militärisch nicht beendet werden.

Der Weg zu einem friedlichen Afghanistan kann letztlich nur über einen innerafghanischen Friedensprozess führen, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen teilhaben, die bereit für eine politische Lösung sind.

Der Abschluss eines Friedensabkommens mit der Hizb-e Islami von Gulbuddin Hekmatyar zeigt, dass Friedensschlüsse möglich sind. Die Regierung wird nun beweisen müssen, dass sie in der Lage ist, die ehemaligen Kämpfer der Hizb-e Islami einzubinden und so ein positives Beispiel für weitere Abkommen zu setzen. Die internationale Gemeinschaft unterstützt diesen Prozess und auch auf Seiten der Taliban mehren sich Stimmen, die diesen Weg befürworten.

Am Ende eines solchen Prozesses müssen sich die Afghanen auf ein Ende der Gewalt einigen, alle Verbindungen zum internationalen Terrorismus kappen und sich auf die afghanische Verfassung verpflichten. Ein solcher Friedensprozess wird – im besten Fall – wohl noch viele Jahre dauern.

Entscheidend wird sein, dass die Staaten der Region an einem Strang ziehen. Auch hierfür setzen wir uns ein – etwa als Vorsitz der Internationalen Afghanistan-Kontaktgruppe.

An dieser Stelle möchte ich unseren Soldatinnen und Soldaten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an unseren Auslandsvertretungen sowie den Polizistinnen und Polizisten in Afghanistan danken. Ihr Einsatz unter schwierigsten Bedingungen verdient unseren größten Respekt.

Afghanistan hat in den vergangenen zwei Jahren Fortschritte gemacht, aber das Land bedarf noch weiter unserer Unterstützung. Wir dürfen das Land jetzt nicht auf halber Strecke zurücklassen und das Erreichte aufs Spiel setzen. Ein militärischer Rückzug zum gegenwärtigen Zeitpunkt könnte alles, was in Afghanistan in den vergangenen 15 Jahren erreicht und aufgebaut wurde, in kurzer Zeit zunichtemachen.

In diesem Sinne bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung um Zustimmung zu diesem Mandat.

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