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„Ich kann in unserer Politik keine Schwäche erkennen“

24.03.2014 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zu seiner Reise in die Ukraine. Erschienen in der Welt vom 24.03.2014.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zu seiner Reise in die Ukraine. Erschienen in der Welt vom 24.03.2014.

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Herr Steinmeier, fühlen Sie sich an den Kalten Krieg erinnert?

Mir ist die Gefahr wohl bewusst, in eine neue Konfrontation mitten in Europa hineinzurutschen. Aber noch ist es nicht zu spät, das zu verhindern. Ich bin ausgesprochen froh, dass es uns in der OSZE in einem großen diplomatischen Kraftakt gelungen ist, eine Beobachtermission für die Ukraine zu beschließen. Die Mission kann dazu beitragen, ein objektives Bild von den Vorgängen insbesondere in der Süd- und Ostukraine zu erhalten. Dies ist ein erster Schritt in Richtung Deeskalation, der von Moskau und von Kiew mitgetragen wird. An diesen ersten kleinen Erfolg müssen wir jetzt versuchen anzuknüpfen. Aber täuschen wir uns nicht: Die Situation vor allem in der Ostukraine ist immer noch alles andere als stabil. Am Samstag habe ich mir in Donezk selbst ein Bild davon machen können. Aus diesem Grund arbeiten wir gemeinsam mit unseren Partnern weiterhin mit aller Kraft an einer Entschärfung dieses brandgefährlichen Konflikts.

Was kann eine Beobachtermission der OSZE wirklich leisten?

Wir haben über drei Tage – und Nächte – intensiv verhandelt, mehrfach war ein Deal nahe und scheiterte dann doch wieder an kleinen Details oder den Entwicklungen der politischen Großwetterlage. Die Bundeskanzlerin hat in Brüssel mit dem ukrainischen Ministerpräsident Jazenjuk gesprochen, der OSZE-Vorsitzende Burkhalter hat sich stark engagiert. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow telefoniert habe. Umso mehr freue ich mich, dass es am Ende noch geklappt hat. Es ist der Moment, an dem erstmals seit Beginn der Krise die Spirale der Eskalation durchbrochen wurde ...

... bedeutet konkret?

Russland und die Ukraine haben aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse an der Präsenz der Beobachter im Land, Moskau mehr im Westen, Kiew im Osten und Süden des Landes. Für uns war wichtig, dass wir jetzt gezielt gestreuten Gerüchten und politisch motivierten Behauptungen Fakten entgegenstellen können. Wir haben eine so große Zahl von Beobachtern ausverhandeln können, dass der Mission auch in der Breite des Landes kaum etwas entgehen dürfte. Schon das ist ein Beitrag zur Deeskalation.

Worum geht es Putin?

Wir können nicht übersehen, dass Russland mit seinem Vorgehen auf der Krim die zentralen Grundelemente der europäischen Friedensordnung missachtet. Ich mache mir große Sorgen, dass der völkerrechtswidrige Versuch, 25 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs international anerkannte Grenzen in unserer europäischen Nachbarschaft zu korrigieren, die Büchse der Pandora öffnet. Ich frage mich auch, ob im Vielvölkerstaat Russland die möglichen Auswirkungen bis zum Ende durchdacht worden sind.

Putin hat die Annexion der Krim mit der deutschen Wiedervereinigung verglichen …

Der Vergleich kommentiert sich selbst. Vielleicht zeigt es den tief sitzenden Phantomschmerz, den einige in Moskau auch mehr als 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion immer noch empfinden. Was für viele die Befreiung vom kommunistischen Joch war, wird von manchen in Moskau ganz anders wahrgenommen.

Verfügen die Europäer über Mittel, die Russland davon abhalten, sich weitere Gebiete der früheren Sowjetunion einzuverleiben?

Da sind wir ja nicht, und ich hoffe, dass es dazu nicht kommen wird. Aber eines ist klar: Sollte Russland über die Krim hinausgreifen, werden wir in Europa einschneidende Maßnahmen beschließen, selbst wenn wir hierfür wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen müssen.

Welche Folgen hätte es, Russland aus der Gemeinschaft der führenden Wirtschaftsnationen auszuschließen?

Die G8 ist eines der effektivsten Gremien im internationalen Bereich und ein internationales Gesprächsformat, in dem Europa, die USA und Russland eng zusammengearbeitet haben. Vorschläge der G8 haben international immer wieder den Weg zur Lösung schwieriger Probleme vorgezeichnet. Dies ist ein wichtiger Wert, den wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollten. Das Verhalten Russlands hat aber richtigerweise dazu geführt, dass wir die Zusammenarbeit mit Russland in der G8 erst einmal ausgesetzt haben. Es hängt nun an Russland, ob es auch zukünftig Teil des Klubs sein will.

Die deutsche Wirtschaft warnt vor Sanktionen …

Ich nehme solche Warnungen sehr ernst. Wirtschaftssanktionen schaden immer beiden Seiten. Und Sanktionen allein sind noch keine kluge Außenpolitik. Wir müssen deshalb kühlen Kopf behalten, den Konflikt vom Ende her denken und unsere Politik gegenüber Russland so gestalten, dass es nicht zu gefährlichen Automatismen kommt. Es geht in solchen Konflikten darum, auch bei einer krisenhaften Zuspitzung im Gespräch zu bleiben und immer wieder Schilder mit der gut sichtbaren Aufschrift „Ausfahrt aus diesem Konflikt“ aufzustellen. Nur dann laufen wir nicht in selbst geschaffene Sackgassen.

Ist diese Krise auch ein Lehrstück über die Schwäche Europas, des Westens insgesamt?

Ich kann in unserer Politik keine Schwäche erkennen. Es ist gut und wichtig, dass Europa und die USA in dieser Krise in enger Abstimmung handeln. Wir senden klare Botschaften, wir reagieren schnell und geschlossen. Gleichzeitig bleiben wir gesprächsbereit, übrigens auf beiden Seiten des Atlantiks. Und täuschen Sie sich nicht: Ob das „Unternehmen Krim“ langfristig ein Erfolg für Russland sein wird, halte ich nicht für ausgemacht. Russland ist bereits heute international isoliert. Selbst in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten sind enge Verbündete zu Moskau auf Distanz gegangen.

Wozu raten Sie Kiew?

Die Lage in Kiew ist außerordentlich kompliziert. Davon habe ich mich in meinen Gesprächen vor Ort selbst überzeugen können. Die Übergangsregierung muss ihr Land beieinanderhalten, Wahlen vorbereiten, die wirtschaftliche Lage stabilisieren und gleichzeitig die notwendigen Reformen nach innen anstoßen. Die Gespräche, die ich in Kiew und Donezk geführt habe, geben mir Zuversicht. Die politisch Verantwortlichen haben klare Vorstellungen, wie sie ihr Land stabilisieren wollen. Es ist ein wichtiges Signal, dass die EU und der IWF der Ukraine bereits finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt haben. Wir arbeiten an einem Aktionsplan, mit dem wir dem Land darüber hinaus praktische Unterstützung leisten können.

An dem Umsturz in der Ukraine haben sich auch rechtsextremistische Kräfte beteiligt. Ist der Westen zu blauäugig, was die Entwicklung in Kiew angeht?

Der ganz überwiegende Teil der Menschen auf dem Maidan hat sich für demokratische Werte eingesetzt. Wir verschließen unsere Augen aber auch vor den extremistischen Rändern nicht. Ich habe Ministerpräsident Jazenjuk deshalb in Kiew noch einmal klar gesagt, dass wir erwarten, dass die neue politische Führung in Kiew die Rechte und Interessen aller Ukrainer – unabhängig von Herkunft, Religion oder Sprache – schützt und sich von extremistischen Kräften distanziert. Der Versuch, die russische Sprache zurückzudrängen, war jedenfalls ein Fehler, den die Übergangsregierung glücklicherweise korrigiert hat.

Kann die Ukraine auf einen Beitritt zur Europäischen Union hoffen?

Die Ukraine hat mit der Unterzeichnung des politischen Teils des Assoziationsabkommen einen ersten Schritt in Richtung Europa getan. Jetzt geht es vordringlich um die politische und wirtschaftliche Stabilisierung der Ukraine. Hier hat die Europäische Union umfangreiche finanzielle Unterstützung angeboten, und hierauf sollten wir uns alle zunächst konzentrieren. Gut wäre es, wenn Russland sich hieran beteiligen würde.

Interview: Jochen Gaugele und Claudia Kade. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Welt.

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