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50 Jahre Deutschland und Israel: „Es grenzt an ein Wunder“

11.05.2015 - Interview

Frank-Walter Steinmeier über 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen. Erschienen im Journal für Internationale Politik und Gesellschaft (11.05.2015).

Frank-Walter Steinmeier über 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen. Erschienen im Journal für Internationale Politik und Gesellschaft (11.05.2015).

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Vor 50 Jahren haben die Bundesrepublik und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Sind die deutsch-israelischen Beziehungen in ihrer Vielfältigkeit heute ein Stück weit Normalität?

Unser Verhältnis zu Israel ist und bleibt ein besonderes – und das ist auch gut so. Dass der jüdische Staat nur zwei Jahrzehnte nach dem Holocaust Beziehungen mit dem Land der Täter aufgenommen hat, war alles andere als eine Selbstverständlichkeit – im Gegenteil, es war eine Entscheidung, die in Israel von erbitterten politischen Debatten begleitet war.

Heute sind Deutschland und Israel Partner, die gleiche Werte teilen und in Wirtschaft und Wissenschaft aufs Engste zusammenarbeiten. Der Austausch und das gegenseitige Interesse in Kunst und Literatur erleben einen regelrechten Boom, genauso in der Startup-Szene und den Kreativbranchen. Das alles ist vor dem Hintergrund der Geschichte alles andere als normal, es grenzt an ein Wunder!

Zumindest in Deutschland wächst jedoch die Kluft zwischen Politik und öffentlicher Meinung. Nach einer aktuellen Umfrage hat heute fast die Hälfte der Deutschen eine schlechte Meinung über Israel. Unter den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 54 Prozent. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Es stimmt, dass die Beschäftigung mit Israel in Deutschland immer weniger von der Geschichte des Holocaust geprägt ist, und dass Israel in den deutschen Medien häufig leider nur noch im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt vorkommt. Dieser eindimensionalen Sichtweise entgegenzuwirken, ist auch eine Aufgabe von Politik.

Umso wichtiger ist der direkte Austausch. Und um den ist mir auch für die Zukunft nicht bange, wenn ich mir ansehe, wie es tausende junge Israelis nach Berlin zieht und wie viele junge Deutsche in Austauschprogrammen und Urlaubsreisen Israel für sich entdecken.

Mein Eindruck ist: Auch die junge Generation von Deutschen und Israelis hat sich eine Menge zu sagen – auch wenn der Holocaust nicht mehr automatisch der Ausgangspunkt für den Umgang miteinander ist. Wichtig ist, dass die gemeinsame Erinnerung lebendig bleibt. Norbert Kron und Amichai Shalev haben dafür die tolle Formel gefunden: Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen!

Was bedeutet Deutschlands Verantwortung für den Holocaust heute für die deutsche Außenpolitik? Inwiefern kann, inwiefern darf Deutschland – etwa im Nahostfriedensprozess – eine Rolle spielen?

Die einzigartige Beziehung, die uns heute mit Israel verbindet, ist überhaupt nur denkbar, weil Deutschland Verantwortung nicht nur für die Verbrechen des Holocaust, sondern auch für die Existenz und Sicherheit des Staates Israel übernommen hat.

Gerade weil wir diese Verantwortung tragen, engagieren wir uns gemeinsam mit unseren europäischen Partnern für eine Friedenslösung zwischen Israelis und Palästinenser. Wir dürfen nicht unterschätzen, dass ein Friedensprozess beiden Parteien schwierige und schmerzhafte Entscheidungen abverlangt. Das braucht Mut zum Kompromiss. Europa kann einiges tun, um solche Entscheidungen zu erleichtern, kann pragmatische Lösungen unterstützen, Vertrauen schaffen, Gesprächskanäle und Wege aufzeigen und offenhalten.

In welchem Spannungsverhältnis steht diese Solidarität zu kritischen Entwicklungen in Israel – etwa zur im Wahlkampf getätigten Absage des israelischen Regierungschefs an die Zweistaatenlösung?

Unter Freunden kann und muss man auch Meinungsverschiedenheiten offen besprechen. Zum Siedlungsbau in den besetzten Gebieten haben wir beispielsweise immer wieder unsere Haltung klargemacht; der Siedlungsbau ist aus unserer Sicht völkerrechtswidrig und ein Hindernis für eine friedliche Lösung mit den Palästinensern. Das ist aber auch eine Frage der Tonart. Kritik, die mit erhobenem Zeigefinger und großer historischer Geste daherkommt, nimmt niemand gerne an.

Manche Äußerungen der letzten Monate haben die Perspektiven einer Wiederbelebung des Friedensprozesses erschwert. Trotz allem scheint mir, dass die Einsicht nach wie vor vorhanden ist, dass es ohne eine Zwei-Staaten-Lösung auf Dauer keinen Frieden für Israelis und Palästinenser geben kann. Die Frage ist, welche politischen Schlussfolgerungen sie daraus ziehen. Wir werden abwarten müssen, wie sich eine neue israelische Regierung positioniert.

Wie sehen Sie die zukünftigen Schwerpunkte der deutsch-israelischen Beziehungen? Wo werden wir in 10 Jahren stehen?

So wichtig die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen bleiben wird: Die deutsch-israelischen Beziehungen waren immer mehr als ein Elitenprojekt. Sie sind durch den Einsatz vieler tausend Engagierter in beiden Ländern zu dem geworden, was sie heute sind.

Wir erleben gerade, wie die junge Generation von Deutschen und Israelis beginnt, ein neues Kapitel der deutsch-israelischen Beziehungen zu schreiben. Sie verbindet eine gegenseitige Faszination, die enorme Dynamik der Kunst- und Kreativszenen, aber auch ein neuentdecktes Interesse an den gemeinsamen kulturellen und historischen Wurzeln. Ich glaube, diese neue Art des Austauschs, und die Kontakte und Netzwerke, die heute entstehen, werden die Beziehungen noch für viele Jahre prägen.

Die Fragen stellte Michael Bröning. Übernahme mit freundlicher Genehmigung. http://www.ipg-journal.de/

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