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Rede von Staatsminister Gernot Erler bei der Konferenz „Roma - (Südost-) Europas unbekannte Minderheit“

01.12.2008 - Rede

Sehr geehrter Erik Bettermann, Intendant der Deutschen Welle,

Dr. Leo Krenz vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Christian Petri, Geschäftsführer der Freudenberg Stiftung,

Exzellenzen, meine Damen und Herren

Ich freue mich sehr, Sie alle heute hier in der Deutschen Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin begrüßen und in Ihrer Gegenwart die Internationale Konferenz „Roma – (Südost-) Europas unbekannte Minderheit“ eröffnen zu dürfen.

Der Titel der Konferenz, die aus der Zusammenarbeit zwischen der Südosteuropa Gesellschaft, der Deutschen Welle und dem BMZ, unterstützt von der Freudenberg Stiftung entstanden ist, ist durchaus mit Bedacht gewählt: denn nach wie vor weiß die europäische Öffentlichkeit zu wenig oder bestenfalls Klischeehaftes über diese Minderheit, die seit Jahrhunderten in ihren Reihen lebt.

Im Rahmen unserer Konferenz sollen daher möglichst viele und verschiedene Aspekte dieser in der Europäischen Union größten ethnischen Minderheit beleuchtet werden: Angefangen mit ihrer Herkunft und ihren Wurzeln über ethno-kulturelle, sozio-ökonomische und allgemeinpolitische Aspekte und diverse Schlüsselthemen, bis hin zur Selbstorganisation dieser Minderheit in einzelnen EU-Ländern und schließlich die anstehenden Herausforderungen an die internationale Gemeinschaft und ihre Zukunftsperspektiven. Damit wollen wir versuchen, einen möglichst weiten Bogen zu schlagen, um der Bedeutung der Fragestellung weitgehend gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren,

wenn hier von „Roma“ die Rede ist, so benutzen wir diesen Begriff übergreifend in der Bedeutung der Sprache Romanes als „Menschen“, die sich selbst als Roma, Cigani, Sinti, Ashkali, Fahrende o.a. bezeichnen. Man schätzt, dass in ganz Europa etwa 10 -12 Millionen Menschen dieser Minderheit, davon 4 - 6 Millionen innerhalb der EU leben. Größere Roma-Minderheiten leben heute vor allem in Rumänien und Bulgarien, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, aber auch in Ungarn, Tschechien und der Slowakei. Aus diesem Grunde wird sich die Konferenz vorwiegend mit der Situation in Südost-Europa befassen, ohne damit die bestehenden Probleme und Sorgen auch in anderen Regionen Europas außer Acht lassen zu wollen.

Es sind aber nicht nur die zahlenmäßigen Verhältnisse, die unseren Blick auf die besagte Region Europas lenken, sondern auch die historischen, politischen und sozio-ökonomischen Aspekte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Mittel- und Osteuropa die Bemühungen verstärkt, entsprechend der Ideologie der zentralistisch gesteuerten Kommandowirtschaft durch Sesshaftmachung und Zuweisung von Arbeitsplätzen und Wohnraum ein homogenes Proletariat zu formen. Auch wenn in der Folge daraus eine erste Generation von Roma in die Eliten aufwuchs, waren die negativen Folgen dieser Steuerung wesentlich gravierender: zahlreiche Roma wurden aus ihren Familienverbänden herausgerissen, in staatlichen Einrichtungen untergebracht sowie ihrer traditionellen Werte und gesellschaftlichen Strukturen beraubt. Trotz sich bietender neuer politischer Chancen fand sich die große Mehrheit der Roma in den Ländern des ehemaligen Ostblocks nach 1989 auf der Seite der Transformationsverlierer wieder: Sie waren von den strukturbedingten Entlassungen in der Industrie, der Auflösung der LPGs und der Restitution von Wohnungen früher und härter betroffen als der Rest der Bevölkerung.

Diese Auswirkungen, aber auch die mit der Wende einhergehende größere Bewegungsfreiheit führten dazu, dass viele Tausend Roma sich auf die Suche nach besseren Lebensverhältnissen machten und dabei auf Strukturen stießen, die sie keineswegs willkommen hießen. So kam es in der Folge in West- und Osteuropa zu Ausbrüchen starker, zum Teil gewaltsamer Ressentiments gegenüber Roma, die die neu gewonnene Freiheit genauso beanspruchten wie alle anderen Menschen, die jahrzehntelang unter totalitären Herrschaften gelebt hatten.

Meine Damen und Herren,

das unterschiedlich hohe Wohlstandsniveau in der Europäischen Union, das sich entsprechend auch auf den Lebensstandard der jeweiligen Minderheit auswirkt, darf nicht Anlass dafür sein, darüber hinwegzusehen, dass sich in weiten Teilen Europas, insbesondere in Ost- und Südost-Europa, an den wesentlichen Hauptproblemen für diese Minderheit bis heute wenig geändert hat.

Diese sind:

  • ein geringes Bildungsniveau,
  • hohe Arbeitslosigkeit,
  • katastrophale Wohnverhältnisse,
  • ein erschwerter Zugang zur Gesundheitsfürsorge,
  • vielfach, oft durch Migration bedingt, fehlende Personaldokumente und/oder Staatenlosigkeit,
  • eine faktische Trennung von der Mehrheitsbevölkerung und
  • keine einheitliche, repräsentative Interessenvertretung auf Landesebene.

Bei der Lektüre einschlägiger Berichte aus den Ländern mit signifikanter Minderheitsbevölkerung ziehen sich mit mehr oder weniger starker Ausprägung diese Probleme durchgängig wie ein roter Faden durch die Darstellungen der Lebenssituation von Roma. Hierauf wird einer der angekündigten Vorträge später im Laufe des heutigen Programms näher eingehen. Und auch morgen werden wir uns mit diesen Fragen anhand ausgewählter Länder und Beispiele eingehend beschäftigen.

Zwar sind zwischenzeitlich der Minderheitenschutz und die Teilhabe der Minderheiten am öffentlichen Leben in völkerrechtlichen Verträgen, nationalen Verfassungen sowie nationaler Gesetzgebung verankert und sind in einigen Ländern Roma auch ausdrücklich als „nationale Minderheit“ anerkannt. Dennoch bleibt die Diskriminierung eine alltägliche Erscheinung. Sie spielt sich vielfach verbal ab, wobei selbst Politiker und Journalisten nicht frei sind von derlei Neigung. Eindrücke aus dem Alltagsleben und der Arbeit mit Roma, speziell in Rumänien, werden uns später ebenso wie die Bemühungen zu ihrer Integration in Deutschland vermittelt werden

Meine Damen und Herren,

ungeachtet des bereits Gesagten darf nicht übersehen werden, dass es auch ein Gebot zur Selbsthilfe gibt. Diese wird leider erschwert durch den relativ schwachen Organisationsgrad der in zahlreiche kleine Interessengruppen und Organisationen zersplitterten Minderheit, die sich manchmal sogar gegenseitig bekämpfen.

So ist es auch wenig zielführend, wenn sich auf überregionaler Ebene die 1971 gegründete und seit 1979 bei der UNO als NGO registrierte Internationale Roma-Union (IRU), die sich als wichtigste und einzig repräsentative weltweite Roma-Organisation versteht, und andere große internationale Roma-Organisationen, wie z.B. der Roma National Congress (RNC) mit Hauptsitz in Hamburg, vehement befehden.

Die Chance, Vorurteile und Vorbehalte in der Mehrheitsgesellschaft abzubauen und eine positive Wahrnehmung der Roma-Minderheit zu erwirken, liegt natürlich auch in den Händen ihrer Angehörigen und in ihrer Bereitschaft zur Integration. Dazu bedarf es nicht zwingend großer überregionaler Organisationen, die sich, wie gesagt, gegenseitig schwächen, sondern der Initiative auf lokaler Ebene. Beispiele dazu aus den „alten“ und den „neuen“ EU-Mitgliedsstaaten werden wir morgen Nachmittag hören und diskutieren können.

Meine Damen und Herren,

die internationale Gemeinschaft bleibt - unabhängig von lokalen und nationalen Anstrengungen zur Verbesserung der Lebenschancen der Roma - weiterhin gefordert. Hier kommen der OSZE, dem Europarat und inzwischen auch der EU besonderes Gewicht zu. Im September 2004 wurde das „Europäische Forum der Roma und Fahrenden“ (ERTF) mit Sitz in Straßburg gegründet. Dieses Forum, das über ein besonderes Partnerschaftsabkommen eng an den Europarat angebunden ist und als nicht profitorientierte Nichtregierungsorganisation arbeitet, ist das erste paneuropäische Roma-Konsultativorgan. Seine Aufgabe ist es, mit Blick auf die Roma-Minderheit in Europa den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung zu unterstützen, sich für Menschenrechte und Grundfreiheiten einzusetzen und die Teilhabe der Roma am öffentlichen Leben zu erleichtern.

Am 2. Februar 2005 haben in Sofia acht europäische Staaten, die besonders starke Minderheitsbevölkerungsanteile haben, das Jahrzehnt zur Eingliederung der Roma eröffnet. Die beiden größten Förderer sind die Weltbank und das „Open Society Institute“. Die Bundesregierung beteiligt sich hier mit 2 Millionen € . In dem grenzüberschreitenden Förderprogramm verpflichten sich die beteiligten Regierungen zur Abschaffung der Diskriminierung und Beseitigung der unzulässigen Unterschiede zwischen den Roma und den anderen Mitgliedern der Gesellschaft. Ferner wurde, wiederum mit maßgeblicher Unterstützung der Weltbank, im Januar 2005 der „Roma-Bildungsfonds“ (REF) gegründet, dessen Ziel es ist, die Bildungschancen der Roma zu verbessern. Für den Zeitraum 2005 bis 2015 wurden hierfür insgesamt 34 Millionen Euro bereitgestellt.

Ich freue mich, dass es uns bei dieser Konferenz gelungen ist, Vertreter einiger internationaler Einrichtungen und Stiftungen als Vortragende zu gewinnen, die uns stellvertretend für eine Vielzahl ähnlicher Institutionen morgen Nachmittag Näheres über deren Zielsetzungen, Aufgaben und Leistungen berichten werden.

Eine Podiumsdiskussion soll schließlich diese Konferenz abschließen, bei der es Gelegenheit geben wird, mit weiteren exponierten Fachleuten Fragen und Probleme dieser Thematik zu erörtern und zu vertiefen.

Meine Damen und Herren,

wir haben es bei den Anmeldungen gesehen: unsere Konferenz stößt auf großes Interesse. Das ist die beste Bestätigung und der beste Dank für diejenigen, die sie vorbereitet haben. Dennoch möchte ich es nicht versäumen, all denen zu danken, die hier mitgewirkt haben. Und ich möchte unseren Gastgebern von der Deutschen Vertretung der Europäischen Kommission danken, die uns ihre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt und damit ihre Aufgeschlossenheit für die uns heute und morgen beschäftigende Thematik dokumentieren. Ich wünsche uns allen zwei interessante und spannende Konferenztage mit aufschlussreichen Vorträgen und lebhaften Diskussionen.

Vielen Dank

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