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Die Krisen des Anderen gibt es nicht mehr

01.10.2014 - Interview

Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier aus Anlass seines Paris-Besuches am Tag der deutschen Einheit.


Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier aus Anlass seines Paris-Besuches am Tag der deutschen Einheit. Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (01.10.2014) und in der französischen Zeitung Le Figaro (02.10.2014).

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Zum Tag der deutschen Einheit reise ich in diesem Jahr nach Paris. Das ist kein Zufall, sondern Sinnbild unseres festen Willens, gemeinsam mit Frankreich die Zukunft zu gestalten. In Kürze wird mein französischer Amtskollege Laurent Fabius zu uns nach Berlin kommen, um als Ehrengast an einer Kabinettssitzung teilzunehmen. Darin spiegelt sich unser tiefes Vertrauen, das in einem halben Jahrhundert erarbeitet wurde. Und das heute dennoch nicht selbstverständlich ist.

Frankreich und Deutschland sind zwei selbstbewusste Nationen, sie verbindet eine Freundschaft, die auch Spannungen kennt. Eine bekannte Gedankenfigur spießt die Komplexität unserer Partnerschaft auf, wenn es heißt: Die Deutschen lieben die Franzosen, bekommen aber nur Respekt zurück. Die Franzosen hingegen pochen auf Respekt, bekommen von uns aber nur Liebe. Wie weit ist es aber mit Liebe und Respekt in diesen Tagen?

Wenn man die deutsch-französische Debatte in unseren Öffentlichkeiten verfolgt, muss man mitunter fragen, ob sich das Paar noch wirklich in die Augen sieht. Polemiken, die sich aus Worten wie „Reformunfähigkeit“ und „Budgetschlendrian“, aus „Zuchtmeisterei“ und „Sparobsession“ bestücken, vergiften die Atmosphäre. Der starre Blick auf den Geldbeutel blendet viel von dem aus, auf dem unsere Freundschaft doch eigentlich beruht.

Es besteht kein Zweifel: Durch unseren gemeinsamen Binnenmarkt und den Euro sind unsere wirtschaftlichen Schicksale sehr eng miteinander verbunden. Wenn Frankreich nicht fit ist, fehlt Europas Mannschaft ein entscheidender Stürmer. Und wenn Europa aus der ersten Liga fliegt, trifft uns Deutsche das genauso hart.

Mit großer Courage hat die französische Regierung den Kurs auf Reformen genommen und ich habe keinen Zweifel, dass Frankreich die gemeinsam festgehaltenen Stabilitätsregeln respektieren wird. Ich habe Vertrauen in die Entschlossenheit Frankreichs – trotz Gegenwind –, diesen Kurs zu halten. Ja, all diese Fragen sind wichtig. Dennoch dürfen wir die deutsch-französischen Beziehungen nicht auf den Stabilitäts-und Wachstumspakt zusammenschrumpfen lassen.

In Europas Nachbarschaft vollziehen sich dramatische Umbrüche, die den internationalen Frieden und unsere Sicherheit gefährden. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir jemals mit einer solchen Vielzahl von ernsthaften Krisen, und dies gleichzeitig, konfrontiert waren.

Wer über den Tellerrand blickt, sieht: Mehr denn je brauchen wir ein Europa, das zusammensteht. In jeder aktuellen Krise, sei es in der Ukraine, im Nahen und Mittleren Osten, oder in Afrika – gehen Deutschland und Frankreich gemeinsam vor. Unser Schulterschluss ist ein politisches Signal. Und es macht einen großen Unterschied, ob Deutschland oder Frankreich allein agieren oder wir beide die politischen, diplomatischen und auch militärischen Kenntnisse und Fähigkeiten des Partners an unserer Seite wissen.

In dieser Lage hat die Abstimmung mit Paris größte Priorität. Das erste persönliche Gespräch mit Laurent Fabius führte ich bereits am Tag meines Amtsantritts. Dem folgte viele weitere entscheidende Momente: So waren wir mit unserem polnischen Kollegen in Kiew, als der Maidan brannte und keiner wusste, was die nächsten Stunden bringen würden. Wir waren gemeinsam in Moldau, Georgien und Tunesien, um dem Bild entgegenzutreten, dass sich Deutschland vor allem um Osteuropa und Frankreich um die südliche Nachbarschaft kümmern. Wenn Paris und Berlin in der Welt gemeinsam auftreten, ist der Fußabdruck, den wir hinterlassen, umso tiefer. Und wenn wir unsere Ressourcen zusammenlegen, wie wir das bei der Einrichtung einer gemeinsamen Luftbrücke nach Westafrika zur Bekämpfung der Ebola-Epidemie planen, können wir viel mehr leisten und ganz konkret auch mehr Menschen helfen.

Zum großen Bild gehört auch: In einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, müssen wir gemeinsam das Wertefundament Europas bewahren. In ganz Europa erheben Populisten ihre Stimmen, die nationalen Egoismen, Abschottung und Intoleranz das Wort reden. Das aber sind nicht die demokratischen und solidarischen Werte der Freiheitsrevolutionen von 1789 und 1989. Gemeinsam sind wir entschlossen, den Demagogen die Stirn zu bieten. Im Inneren gilt also wie nach außen: Wenn Frankreich und Deutschland nicht kraftvoll an einem Strang ziehen, schadet das beiden und vielen anderen. Die „Krisen des Anderen“, das gibt es nicht mehr.

Das alles sind gute Gründe für gegenseitigen Respekt. Für die Liebe sind Minister nicht zuständig. Es gibt aber Millionen von Menschen in unseren beiden Ländern, die seit Jahrzehnten die deutsch-französische Freundschaft zu ihrer Herzensangelegenheit gemacht haben. Ihnen ist es zu verdanken, dass unsere Partnerschaft nicht eine bloße Sache der Amtsstuben, sondern tief in den Städten und Dörfern zwischen Kiel und Biarritz verwurzelt ist. Hätte es vor 24 Jahren ohne dieses Herzblut den Vertrauensvorschuss unserer französischen Nachbarn gegeben, der eine Voraussetzung war für die deutsche Wiedervereinigung? Das deutsch-französische Projekt und das europäische Friedenswerk, in dem das wiedervereinigte Deutschland seinen Platz gefunden hat, leben von diesem Vertrauen. Jetzt wird es uns helfen, einen guten Weg in die Zukunft zu bahnen.

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