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Bundesaußenminister Steinmeier bei seinem Besuch in Saudi-Arabien über bilaterale Agenda

19.10.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der überregional ausgerichteten saudischen Tageszeitung „Ascharq Al-Awsat“. Erschienen am 19.10.2015.

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Was sind die Hauptthemen Ihres Besuchs in Saudi-Arabien?

Deutschland und Saudi-Arabien haben eine gute, lange Tradition der Zusammenarbeit. Gerade in so turbulenten Zeiten ist es wichtig, dass das größte Land Europas und das größte Land der arabischen Golfregion miteinander das Gespräch suchen.

Leider wählen wir die Themen in diesen Tagen nicht nur selbst, sondern die Dringlichkeit der Lage gibt sie uns vor: Vor allem natürlich die blutigen Konflikte in Syrien und im Jemen, aber auch der Kampf gegen ISIS und die humanitäre Hilfe für die Millionen Flüchtlinge in der Region.

Erfreulicher ist die bilaterale Agenda: Wir wollen diesmal besonders über die Zusammenarbeit bei der beruflichen Bildung und im Kulturbereich sprechen. Und ich will auch die Gelegenheit nutzen, mir einen Eindruck von den Stimmungen und Entwicklungen in der saudischen Gesellschaft machen, die dynamischer und vielfältiger ist, als ganz viele in Europa oft meinen.

Tragen die russischen Luftangriffe in Syrien zur Lösung der Krise bei? Und sind die Erklärungen des russischen Außenministeriums glaubwürdig?

Kein Zweifel: Das russische Eingreifen hat die Bemühungen um eine politische Lösung noch komplizierter gemacht. Wir werden genau beobachten, ob die russischen Angriffe tatsächlich dem Kampf gegen ISIS und Al-Qaida dienen. Es ist wichtig, dass sich die USA Russland und andere jetzt zumindest auf militärischer Ebene abstimmen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.

Vielleicht können wir in einem nächsten Schritt gemeinsam darauf hinarbeiten, dass zumindest die Beschlüsse des Sicherheitsrats zum Schutz der Zivilbevölkerung endlich umgesetzt werden - wenn die Fassbomben und Mörserangriffe auf Wohngebiete gestoppt werden und den humanitären Helfern überall Zugang gewährt wird. Wenn Russland seinen Einfluss auf Assad in diesem Sinn nutzen würde, wäre das Leben der Menschen etwas erträglicher.

Trägt Russlands militärisches Eingreifen dazu bei, Assad an der Macht zu halten? Ist Assad Teil der Lösung in Syrien?

Ich setze darauf, dass auch Russland weiß: Die Luftangriffe verändern die militärischen Kräfteverhältnisse, aber sie können eine politische Lösung nicht ersetzen. Alle müssen ein Interesse haben, den Einstieg in einen politischen Übergangsprozess zu finden, bevor die Staatlichkeit Syriens und das syrische Gemeinwesen völlig zerbrechen. Denn alle müssen ein Interesse daran haben, dass Syrien als Staat erhalten bleibt, in dem alle Religions- und Volksgruppen irgendwann einmal wieder friedlich zusammenleben können. Die Rolle Assads ist dabei vielleicht weniger entscheidend, als viele glauben.

Werden Sie bei Ihrem Besuch in Teheran auch die iranischen Einmischungen in Syrien und Jemen und die Unterstützung mit Waffen und ausgebildeten Kräften ansprechen?

Wir sehen Irans Rolle in der Region sehr realistisch, gerade auch mit Blick auf die Unterstützung des Assad-Regimes oder der Hisbollah. Darüber sprechen wir natürlich auch mit Teheran. Mir macht vor allem Sorge, wie einige Gruppen immer stärker auf die konfessionelle Karte setzen. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, welche Instrumente und Mechanismen helfen könnten, mindestens anzufangen, wieder Vertrauen zu schaffen. Genau zu diesem Thema haben wir in Teheran ein Treffen der Core Group der Münchner Sicherheitskonferenz abgehalten, einer weltweit einzigartigen Gruppe von Regierungsvertretern und Sicherheitsexperten. Denn eines ist klar: Die Region braucht dringend Formate und Mechanismen, in denen Dialog geführt, Konflikte entschärft und friedlich gelöst werden können.

Spüren Sie positive Signale bei der Umsetzung der Atom-Vereinbarung mit Iran?

Die iranische Regierung versichert uns, dass sie entschlossen ist, ihre Verpflichtungen voll und ganz einzuhalten. Aber wir haben immer wieder gesagt: einen Vertrauensvorschuss gibt es bei diesem Abkommen nicht, sondern nur engmaschige Kontrolle und Transparenz.

Die eigentliche Nagelprobe steht erst noch bevor. Erst gestern (18.10.) ist das Abkommen formal in Kraft getreten. In den nächsten Wochen muss der Iran beginnen, seinen Vorrat an angereichertem Uran zurückzuführen, seine Zentrifugen und seinen Schwerwasserreaktor abzubauen. Erst wenn die IAEO bestätigt hat, dass der Iran seine Verpflichtungen erfüllt hat, werden die Sanktionen außer Kraft gesetzt. Und erst dann, vielleicht Anfang nächsten Jahres, werden wir wissen, ob die Wiener Vereinbarung ein Erfolg wird.

Deutschland hat sich bereit erklärt, dieses Jahr 800.000 oder eine Million Flüchtlinge aufzunehmen, wie wird die deutsche Regierung mit ihnen umgehen?

Das ist so nicht richtig: Wir haben uns eine solche Zahl nie ausgesucht. Richtig ist aber: Wir sind von dem ganzen Ausmaß der Flüchtlingsströme aus dem Nahen und Mittleren Osten, vor allem aus Syrien überrascht worden. Die regulären Kapazitäten unserer Aufnahmeeinrichtungen sind längst erschöpft. Trotzdem stellen wir uns der Verpflichtung, den Menschen, die vor Gewalt und Krieg zu uns fliehen, so gut zu helfen, wie wir das können. Ich bin stolz, dass so viele Deutsche über alle sozialen und religiösen Unterscheidungen hinweg bei dieser enormen Aufgabe mit viel Engagement mithelfen.

Zur Wahrheit gehört: Deutschland wird nicht alle aufnehmen können, die jetzt zu uns möchten. Viele von denen, die zu uns kommen, allen voran aus Südosteuropa und dem Balkan, haben kein Recht auf Asyl und werden Deutschland wieder verlassen müssen. Wir müssen uns auf die Menschen konzentrieren, die auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Zerstörung nur mit ihrem Leben davongekommen sind. Und wir müssen auch mit unseren Partnern in der Region alles dafür tun, dass die Flüchtlinge in der Region besser versorgt werden. Gleichzeitig brauchen wir eine engere Zusammenarbeit in Europa bei der Asylpolitik und eine gerechtere Lastenteilung.

Gibt es eine klare europäische Solidarität bei der Aufnahme dieser großen Zahl an Flüchtlingen?

Wir haben es in den letzten Wochen geschafft, eine Quotenregelung für die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen zu vereinbaren. Und wir haben uns darauf verständigt, dass die Staaten an der Außengrenze der EU wie Griechenland und Italien mit der Verantwortung für die ankommenden Menschen nicht alleine gelassen werden dürfen, sondern Unterstützung bei der Sicherung der Grenzen und der Registrierung der Flüchtlinge bekommen. Unser Ziel muss es sein, dass wir eine gemeinsame Asylpolitik mit verbindlichen humanitären Standards in ganz Europa schaffen. So weit sind wir noch nicht. Aber alle in Europa haben begriffen, dass wir diese große Aufgabe nur gemeinsam bewältigen können. Die Solidarität darf sich aber nicht auf Europa beschränken. Auch die Staaten des Mittleren Ostens tragen große Verantwortung bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms.

Die Wiedervereinigung Deutschlands vor 25 Jahren war mit der Hoffnung auf eine friedlichere und stabilere Zukunft verbunden. Was sagen Sie heute zu diesem Anlass?

Für uns Deutsche ist dieses Jubiläum Anlass zu großer Dankbarkeit. Wir leben heute umgeben nur von Freunden in einem vereinten Europa. Wir wissen, dass wir unsere Sicherheit und unseren Wohlstand nicht allein uns selbst, sondern auch der Zusammenarbeit mit unseren Partnern in Europa und der Welt zu verdanken haben.

Leider sind die vergangenen 25 Jahre nicht das von manchem erhoffte Ende der Geschichte gewesen. In vielen Regionen, gerade im Nahen und Mittleren Osten, scheint die Welt aus den Fugen geraten, ja sogar unsicherer geworden zu sein. Im letzten Jahr sind Krieg und Gewalt mit dem Ukraine-Konflikt sogar zu uns nach Europa zurückgekehrt.

Für uns in Deutschland ist das eine Erinnerung, dass Frieden und Sicherheit keine Selbstverständlichkeit sind, sondern von uns ständiges Engagement und Einsatz fordern. Aber dieses Jubiläum erinnert uns auch daran, dass selbst die erbittertsten Konflikte wie der vierzigjährige Kalte Krieg auf friedlichem Weg gelöst und Mauern überwunden werden können.

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