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Spirale der konfessionellen Konfrontation zwischen Schiiten und Sunniten durchbrechen

31.07.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach mit Al Arabiya, dem größten arabischen Online-Medium.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach mit Al Arabiya, dem größten arabischen Online-Medium. Das Interview erschien am 31. Juli 2015 auf Arabisch und Englisch.

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Herr Minister, was bedeutet die Einigung über das iranische Atomprogramm für die Staaten des Golfkooperationsrats? Und wie bewerten Sie die Sorgen und Ängste der Golfstaaten angesichts von Spannungen im Gefolge der Atom-Einigung zwischen Iran und den E3+3? Gibt es Garantien und Versicherungen, die diese Bedenken zerstreuen?

Ich weiß, dass es Sorgen vor einem iranischen Vormachtstreben gibt, die auch über die Atomfrage hinausgehen. Wir machen uns keine Illusionen über Irans Rolle in Syrien, bei der Unterstützung der Hisbollah oder konfessioneller Milizen im Irak. Diese Probleme sind durch ein Atom-Abkommen nicht über Nacht zu lösen. Gleichzeitig bin ich fest davon überzeugt, dass die Wiener Vereinbarung nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an Sicherheit für die Staaten in der Region bringt. Ohne sie wären wir heute wieder in einer Situation wie 2013, als der Iran – trotz aller Sanktionen- kurz davor stand, genügend spaltbares Material für eine Bombe zu produzieren. Wir haben seit Beginn der Verhandlungen mit dem Iran vor 12 Jahren stets engen Kontakt zu den Staaten des Golfkooperationsrats gehalten. Am Ende ist uns eine Vereinbarung gelungen, die alle möglichen Wege des Iran zu Atomwaffenwirksam und nachprüfbar versperrt. Entscheidend ist die Umsetzung der Ergebnisse aus der Vereinbarung von Wien und auf die werden wir größte Aufmerksamkeit legen. Ich bin sicher, dass die Umsetzung der Wiener Vereinbarung auch jene Stimmen im Iran stärken wird, die sich eine Öffnung und friedliche Beziehungen mit den Nachbarn wünschen.

Mit Blick auf Ihre wichtige Rolle bei den Verhandlungen an der Seite der Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, glauben Sie, dass Ihre Teilnahme Ihren guten Beziehungen zu Iran geschuldet war? Wie schätzen Sie diese Beziehungen ein?

Es waren ursprünglich Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die die Verhandlungen mit Iran begonnen haben, um auf friedlichem Weg einen iranischen Weg zur Atombombe zu verhindern - zu einem Zeitpunkt als Washington noch nicht bereit war, direkt mit Teheran zu sprechen. Deutschland hat trotz tiefgreifender Differenzen mit dem Regime in Teheran stets Wert darauf gelegt, die Verbindungen nicht abreißen zu lassen. Es ist und bleibt unserere Philosophie auch und gerade in Konfliktsituationen die wichtigen Gesprächsfäden mit schwierigen Partnern nicht abreißen zu lassen.

Was ist die deutsche Haltung zum Plan der Türkei, in Nordsyrien eine ISIS-freie „Schutzzone“ einzurichten? Meinen Sie, es gibt in naher Zukunft eine Lösung der Syrienkrise?

In Syrien sind bislang alle Bemühungen der Vereinten Nationen gescheitert, die Konfliktparteien für eine friedliche Lösung in die Pflicht zu nehmen, nicht zuletzt an der Uneinigkeit des Sicherheitsrats und einem amerikanisch-russischen Interessengegensatz. Ich setze darauf, dass dieser bald überwindbar wird, denn auch Moskau sieht, dass das Assad-Regime immer mehr in Bedrängnis gerät. Hier sind alle regionalen Akteure gefragt, die ein Interesse daran haben müssen, dass Syrien nicht völlig auseinanderfällt. Der UN-Sondergesandte De Mistura hat gerade neue Vorschläge präsentiert, wie der Einstieg in einen solchen Prozess funktionieren könnte. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz.

Und was Diskussionen um eine Schutzzone angeht, so ist diese Idee ja nicht neu. Die Schwierigkeit war immer, wie es angesichts der Vielzahl der Gruppen und Milizen vor Ort in so einer Zone gelingen kann, Sicherheit zu schaffen und wer dafür Verantwortung übernehmen kann, ohne dafür neue Konflikte zu schüren.

Wie sieht Deutschland die Rolle des iranischen Regimes und seine Einmischung in die Angelegenheiten der arabischen Region, zuerst in Syrien, Libanon, Irak und Bahrain und nun auch in Jemen?

Wir sehen das sehr realistisch. Die Unterstützung der Hisbollah und deren Rolle beim brutalen Vorgehen des Assad-Regimes hat viele Menschenleben gekostet. Dennoch muss man genau hinsehen. Die Lage in Syrien ist eine andere als die in Bahrain. Es macht mir große Sorge, dass sich nicht nur in Syrien und im Irak, sondern auch am Golf bis hin zum Jemen die brandgefährliche Vorstellung verbreitet, dass wir es nicht mit politischen Konflikten zu tun haben, die politisch gelöst werden können, sondern um eine unversöhnliche Feindschaft zwischen Schiiten und Sunniten. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, wie wir diese Spirale der konfessionellen Konfrontation durchbrechen können, und welche Instrumente und Mechanismen helfen könnten, wieder Vertrauen zu schaffen.

Deutschland ist das Land, das in Europa bei weitem die höchsten Einwandererzahlen aufweist; glauben Sie, dass es Deutschland gelungen ist, diese Einwanderer, vor allem die Muslime, in sein soziales Gefüge einzubinden? Und gab es in den vergangenen Jahren neue Maßnahmen, die Einwanderungsgesetze zu verschärfen?

In der Tat: Deutschland war letztes Jahr nach den USA das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt. Nicht nur unsere Wirtschaft, auch unsere Gesellschaft profitiert davon, dass aktive und engagierte Menschen aus der ganzen Welt sich bei uns wohlfühlen und Chancen für sich finden. Und wir haben uns aus Anteilnahme mit dem furchtbaren Schicksal der Menschen in Syrien die politische Entscheidung getroffen, syrische Flüchtlinge bei uns aufzunehmen. Inzwischen ist Deutschland - abgesehen von den unmittelbaren Nachbarstaaten – das Land mit den meisten syrischen Flüchtlingen weltweit! Leider gibt es–wie wahrscheinlich überall - eine kleine, aber lautstarke Minderheit, die mit primitiven Parolen gegen Einwanderer hetzt. Eine breite Mehrheit der Bevölkerung lehnt das ab, viele tausend Menschen in ganz Deutschland engagieren sich freiwillig, um in ihren Städten und Gemeinden Flüchtlingen zu helfen und ihnen – fern der Heimat – eine neue Perspektive zu bieten.

Wie wird Deutschland seine wirtschaftliche Präsenz in Saudi-Arabien und den Märkten des Golfkooperationsrats ausbauen?

Die deutsche Wirtschaft hat eine sehr starke Position in Saudi-Arabien und in den übrigen Ländern des Golfkooperationsrates, aus zwei Gründen: Deutsche Unternehmen sind erfolgreich, weil ihre Produkte für weltweit höchste Qualitätsstandards stehen. German Engineering hat sich zu einer eigenen Marke entwickelt. Und viele deutsche Unternehmen sind dazu seit Jahrzehnten vor Ort präsent und wissen, dass man solide Beziehungen und Vertrauen aufbauen muss. Immer mehr Unternehmen produzieren auch in GKR-Ländern einschließlich Saudi-Arabiens und bilden junge Menschen aus. Das ist ein wirkliches Zukunftsthema, bei dem Deutschland viel anbieten kann.

Wie sehen Sie die Zukunft der deutsch-saudischen Beziehungen?

Deutschland und Saudi-Arabien sind seit vielen Jahren Partner, die einander gut kennen und vertrauen. Wir haben in unseren Regionen jeweils eine führende Position inne. Wir sind beide Mitglied der G20. Unsere Regierungen sind entschlossen eng zusammenzuarbeiten, ob es um das Krisenmanagement im Mittleren Osten geht oder um Themen wie Energie und Klimaschutz. Zwischen unseren Regierungen gibt es gegenseitigen Respekt. Und wie es bei engen Partnern häufig der Fall ist, gibt es natürlich auch Fragen, bei denen wir nicht einer Meinung sind. Das wird uns nicht daran hindern, das Gespräch noch intensiver zu suchen und unsere Zusammenarbeit weiter auszubauen. In einer Welt voller Konflikte und Unsicherheiten müssen starke Partner zusammenarbeiten und gemeinsam nach Wegen für eine friedliche Zukunft und Wohlstand für die kommenden Generationen suchen.

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