Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Die Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge

18.05.2015 - Interview

Gemeinsamer Beitrag der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoğuz, und des Staatsministers für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth, zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer. Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen (18.05.2015).

Gemeinsamer Beitrag der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Aydan Özoğuz, und des Staatsministers für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth, zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer. Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen (18.05.2015).

***

Tausende Flüchtlinge haben in Europa ein besseres Leben gesucht – und im Mittelmeer einen grausamen Tod gefunden. Wir sind es ihnen schuldig, endlich zu handeln. Wir müssen in Europa gemeinsame Antworten auf die Frage finden, wie wir menschenwürdig und solidarisch mit denjenigen umgehen, die in ihrer Not Zuflucht bei uns suchen. Eines ist klar – und das müssen wir unserer Bevölkerung offen sagen – die Zahl derjenigen, die nach Deutschland und Europa kommen, wird künftig eher größer, nicht kleiner. Was ist konkret zu tun? Wir sehen vier große Aufgaben, die wir entschlossen und gemeinsam angehen müssen.

Erstens: Es dürfen keine weiteren Menschen vor unseren Küsten ertrinken. Es ist mit unseren europäischen Werten schlichtweg unvereinbar, dass von völkerrechtswidrigen Zurückweisungen von Schutzsuchenden berichtet wird und die südliche Außengrenze der EU zur Todeszone geworden ist. Wir begrüßen, dass die EU-Kommission in ihrer Europäischen Agenda für Migration vom 13. Mai der Rettung von Menschen, die auf ihrer Flucht nach Europa in Seenot geraten, höchste Priorität gibt. Neben anderen Staaten beteiligt sich Deutschland bereits an der Seenotrettung. Zwei deutsche Marineschiffe haben in den vergangenen Tagen Hunderten Menschen das Leben gerettet. Auch alle anderen EU-Mitgliedstaaten sollten rasch und unbürokratisch Mittel für die Seenotrettung zur Verfügung stellen.

Zweitens: Seenotrettung ist gleichwohl nur der erste Schritt. Flüchtlinge vertrauen ihr Leben mangels anderer Alternativen oft skrupellosen Schleppern an, die sich an ihrem Elend schamlos bereichern. Wir sind uns mit der EU-Kommission einig, dass diesen kriminellen Banden das Handwerk gelegt werden muss.

Drittens: Derzeit nehmen gerade einmal fünf von 28 Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, etwa 80 Prozent der Asylbewerber und Flüchtlinge auf. Europäische Solidarität sieht anders aus. Machen wir uns endlich ehrlich: Das Dublin-System ist gescheitert! Wir müssen in der europäischen Flüchtlingspolitik radikal umdenken. Die Vorschläge der Kommission für eine solidarische Teilung der Verantwortung bei der Aufnahme und Versorgung von Asylbewerbern waren überfällig. Asylbewerber sollen auch von bislang weniger belasteten EU-Ländern aufgenommen werden. Das starre und schematische Dublin-System ist deshalb zu einem dynamischen europäischen Aufnahmekonzept umzubauen, das die tatsächliche Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitgliedsländer berücksichtigt. Es geht dabei nicht nur um eine Verteilung von Schutzsuchenden. Wir brauchen in allen EU-Ländern endlich humane Aufnahmebedingungen und faire Asylanerkennungsverfahren. Wir wissen, dass diesem neuen Weg einige unserer Partnerländer derzeit noch skeptisch gegenüber stehen. Wir sollten ihnen Mut machen und auf die vielen Beispiele gelingender Integration verweisen. Die EU ist multikulturell, multiethnisch und multireligiös. Unsere Grundwerte verpflichten uns und diejenigen, die bei uns eine neue Heimat suchen. Besonders schutzbedürftige Personen, wie die syrischen Flüchtlinge, sollten bereits in Libanon oder Nordafrika aufgenommen und auf sicheren und legalen Wegen nach Europa gebracht werden. Sie dürfen sich nicht mehr länger in Lebensgefahr begeben, um bei uns Asyl zu beantragen.

Viertens: Der aktuelle Zustrom an Flüchtlingen ist die Folge dramatischer Entwicklungen in unserer Nachbarschaft. Doch die Krisen in den Herkunftsstaaten der Flüchtlinge – wie Bürgerkriege, zerfallende Staatlichkeit, Terrorismus oder Armut – werden wir nicht mit Zäunen an den Außengrenzen der EU oder Patrouillenbooten im Mittelmeer lösen. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge! Die Kommission schlägt langfristige Programme vor, die Flüchtlinge schützen und gleichzeitig Entwicklungsperspektiven für die heimische Bevölkerung bieten. Es muss aber noch viel mehr geschehen. Alle Politikbereiche sind miteinzubeziehen – von der Außen- und Sicherheitspolitik über Handel bis hin zu humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Mit dem Angebot von Transformationspartnerschaften fördern wir bereits seit 2011 intensiv den zivilgesellschaftlichen Aufbau in Nordafrika und Nahost und wir beteiligen uns mit unseren Partnern am Khartoum-Prozess. Hier können und müssen wir jedoch noch mehr tun.

Die Kommission hat wichtige Schritte in die richtige Richtung vorgeschlagen. Weitere müssen folgen. Sie erfordern Mut, Entschlossenheit und Ehrlichkeit. Wir wissen, dass noch nicht alle Mitgliedstaaten diese Ansätze mittragen. Aber wir sind bereit, dafür Überzeugungsarbeit zu leisten. Humanität und Solidarität dürfen in der EU niemals infrage gestellt werden.

Verwandte Inhalte

Schlagworte

nach oben