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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Veranstaltung „90 Jahre DAAD

17.06.2015 - Rede

Rede von Außenminister Steinmeier anlässlich der Veranstaltung „90 Jahre DAAD“ in der Akademie der Künste

Damen und Herren Abgeordnete,
Freunde des DAAD,
Alumni,
Exzellenzen,
Damen und Herren,

Was für eine Geburtstagsgesellschaft! Ich freue mich, dabei zu sein und sage – liebe Frau Wintermantel, Herr Mukherjee, Frau Rüland – herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Grund genug zum Feiern gibt es auch! Und das, was wir feiern, dürfen Sie durchaus auch als Herzenssache des Außenministers betrachten. Ich bin schlicht immer wieder begeistert, wie der akademische und wissenschaftliche Austausch nicht nur über Ländergrenzen hinweg wirkt, sondern auch über kulturelle und politische Gräben trägt. Und damit ist er gerade in Zeiten der Krise – und davon erleben wir im Moment gewiss genug – als wesentlicher Baustein kluger Außenpolitik unersetzbar!

Dass dieser Austausch bei uns so lebendig ist, dass er wächst und auch durch Konflikte nicht aufzuhalten ist, das ist ganz maßgeblich der Verdienst des DAAD, das ist Ihr Verdienst, Frau Wintermantel, und der Ihrer Mitarbeiter und der Ihrer Stipendiaten. Und dafür danke ich Ihnen allen herzlich!

Warum ist diese Arbeit so ein wichtiger Teil unserer Politik?

Es mag Sie erstaunen. Aber ein Blick auf die Biographie jenes Mannes, der uns heute hier zusammengebracht hat, kann dies gut erklären.

Carl Joachim Friedrich war ein junger Mann, Anfang 20 gerademal, als er sich im Jahr 1922 als Gaststudent von Heidelberg nach New York aufmachte. Dort muss es ihm gut gefallen haben! Denn zurück in Deutschland organisierte er gemeinsam mit dem amerikanischen „Institute of International Education“ Stipendien für deutsche Kommilitonen. Bescheidene 13 Stipendien waren es zunächst. Aber genau sie legten vor 90 Jahren den Grundstein für den heutigen DAAD.

Friedrich wanderte später in die USA aus und wurde zu einem der angesehensten Politik-wissenschaftler seiner Zeit. Was viele aber nicht wissen: Nach seiner Einbürgerung engagierte er sich von Harvard aus gegen das Nazi-Regime. Des DAADs hatten sich da längst Kinder eines ganz anderen, verbrecherischen Geistes bemächtigt. Ab 1933 saßen die Nazibonzen Alfred Rosenberg und Ernst Röhm im Vorstand. Und bald wurden arische Abstammung und das Bekenntnis zu Hitlers „Mein Kampf“ zur Bedingung für ein Stipendium. In voller Übereinstimmung mit dem Auswärtigen Amt, muss man wohl hinzufügen. Welche Pervertierung der Vision des jungen Studenten Friedrich.

Nach Ende des Krieges war Friedrich an der Ausarbeitung des Marshall-Plans beteiligt. Und noch etwas anderes über ihn ist wenig bekannt: Er war einer jener Experten, die halfen, den ersten Entwurf des Grundgesetzes auf Herrenchiemsee mitzuschreiben.

Und damit offenbaren sich für mich in der Biographie dieses erstaunlichen Mannes drei essenzielle Prinzipien, die unsere Außenwissenschaftspolitik heute prägen:

Erstens, die Förderung von Verständnis und Verständigung durch Austausch von Wissen und Zusammenarbeit, die Friedrich im Jahr 1925 mit seinen 13 Stipendien anstieß. In einer Zeit, in der in unserem Land viele nicht mehr auf internationale Vernetzung setzten, sondern auf nationalistische Abschottung.

Zweitens, die Übernahme von Verantwortung in Krisenzeiten, wie sie Carl Joachim Friedrich während des Zweiten Weltkriegs zeigte.

Und drittens: Der Versuch, eine friedliche Ordnung in einer unfriedlichen Welt zu fördern – so wie damals, nach dem verheerenden Krieg, mit seiner Arbeit am Grundgesetz für die neue Bundesrepublik. Und indem er half, die Fundamente unserer transatlantischen Freundschaft zu legen und so das seine tat, um Deutschland den Weg zurück in die Völkerfamilie zu bahnen.

Lassen Sie mich anhand dieser drei Prinzipien erläutern, was für mich Pfeiler unserer Außenwissenschaftspolitik darstellen.

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Verständnis durch Dialog. Wissen und Erkenntnis durch Austausch.

Friedrich legte für diese Ziele des DAAD vor 90 Jahren den Grundstein. Den ersten 13 Stipendiaten sind weitere gefolgt. Viele Weitere. Rund zwei Millionen Akademiker haben mittlerweile von einer Förderung des DAAD profitiert. Fast die Hälfte von ihnen ist ausländischer Herkunft. Nur die USA und Großbritannien ziehen mit ihrem sprachlichen Wettbewerbsvorteil mehr Studierende an.

Liebe Frau Wintermantel, das ist eine großartige Erfolgsgeschichte! Aber wir haben auch ehrgeizige Ziele! Wir wollen die Zahl der Studierenden aus dem Ausland weiter deutlich erhöhen. Und umgekehrt soll in fünf Jahren jeder zweite Absolvent eines deutschen Studienganges Erfahrungen im Ausland gesammelt haben. Zu schaffen ist das!

Denn: Durch die Arbeit des DAAD sind starke internationale Netzwerke gewachsen, in Wissenschaft, Kultur und Forschung. In aller Welt gibt es heute Alumni - Kenner und Freunde Deutschlands - die das Ansehen unseres Landes in der Welt mitbestimmen.

Ich komme viel in der Welt herum. Und ob in Warschau, Brüssel oder Tunis: Ich bin immer wieder überrascht, wie oft ich auf Deutsch angesprochen werde - von der ehemaligen tunesischen Tourismusministerin Amel Karboul etwa, oder dem polnischen EU-Botschafter Marek Prawda. Beide ehemalige DAAD-Stipendiaten! Und beide sind heute Abend hier und ich begrüße sie sehr herzlich.

Warum ist dieses Netzwerk so wichtig?

Weil jeder, der sich auf den Weg macht, ein Stück kultureller und geistiger Prägung mitbringt und einbringt. Dieser Austausch von Erfahrung, Kultur und Erkenntnis ist für mich der Kern von wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Und zugleich macht dieser Gedanke klar: Wir müssen zusammenarbeiten, wir müssen Wissen teilen, um die Welt und einander besser zu verstehen.

Auf diesem Weg leistet der DAAD hervorragende Arbeit, zum Beispiel durch Exzellenzzentren in Russland, Thailand oder Chile. In Kolumbien habe ich vor wenigen Wochen das „Center of Excellence in Marine Sciences“ in Santa Maria besucht. Dort werden in deutsch-kolumbianischer Kooperation die Auswirkungen des Klimawandels auf die Weltmeere erforscht. Und das auf einem beeindruckenden Niveau!

In Kenia wollen wir ein „Kenyan- German Centre for Applied Resources Management“ aufbauen. Bei diesem Pilotprojekt des DAAD leisten deutsche Fachhochschulen Starthilfe zum Aufbau praxisnaher Studiengänge. Es ist eine Form der Kooperation, die allen Seiten neue Perspektiven eröffnet.

Erkenntnis durch Austausch von Wissen, Erfahrung und Kultur, das ist das, was Willy Brandt einst als „Arbeit an der Weltvernunft“ bezeichnet hat.

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Und das bringt mich zu meinem zweiten Punkt: Dem verantwortungsvollen Handeln in Zeiten der Krise.

Denn von „Weltvernunft“ ist auf dieser Erde derzeit wahrhaftig nicht viel zu erkennen. Ob es um den IS-Terror im Mittleren Osten geht oder das Morden von Boko Haram in Nigeria. Mit dem Ukrainekonflikt ist sogar die Frage von Krieg und Frieden auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt.

Und wer hofft, dass das Krisenpendel doch demnächst wieder in eine Art Ruhezustand zurückschwingt, den muss ich enttäuschen. Ich fürchte, Krisenmodus wird auf unabsehbare Zeit der neue Normalfall.

Eine dramatische Folge dieser Krisen ist, dass unzähligen Menschen der Weg zu Bildung und Wissenschaft verwehrt ist. Weil sie ihre Heimat verlassen müssen, weil sie keinen Zugang zu Schulen und Universitäten haben, weil sie flüchten müssen, vor Elend, Not und Gewalt.

Rund 50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. So viele wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Auch an dieser Parallele lässt sich ablesen, in welcher Epoche dramatischer Umbrüche wir heute leben.

Für uns ist klar: Wir müssen helfen, dass für diese Menschen, für die nächsten Generationen und damit für die Zukunft ihrer Herkunftsländer – eine Perspektive bleibt.

Deshalb haben wir zusammen mit dem DAAD das Programm „Führungskräfte für Syrien“ aufgelegt. Innerhalb der nächsten vier Jahre sollen über 200 syrische Stipendiaten zum Studium nach Deutschland kommen. Alle von ihnen werden neben ihrem eigenen Studienfach ausgebildet in den Bereichen Gute Regierungsführung, Zivilgesellschaft und Nachhaltiges Projektmanagement. Ich freue mich, dass einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg unserem Beispiel folgen und zusätzliche Stipendien für Syrerinnen und Syrer anbieten wollen.

Für uns ist klar: Wir dürfen nicht zulassen, dass infolge des Syrien-Konflikts eine verlorene Generation heranwächst. Bildung und Austausch tun Not. Gerade in Krisenzeiten. Aber richtig ist auch: Bildung und Austausch selbst können helfen, Not und Krisen zu überwinden! Denn mit ihrer gemeinsamen Sprache sind Wissenschaftler geradezu dafür bestimmt, Brücken zu bauen, wo diplomatische Pfade versperrt oder noch nicht etabliert sind.

Das zeigt auf beeindruckende Weise das Beispiel von Deutschland und Israel. Unsere beiden Länder haben innerhalb der letzten Jahrzehnte auf wahrhaft „wunder“-same Weise zueinander gefunden, über die furchtbaren Gräben der Vergangenheit. Doch bevor der Politik dies gelang, reichten sich Wissenschaftler die Hände! Als vor 50 Jahren die diplomatischen Beziehungen zwischen unseren Ländern begannen, arbeiteten Forscher und Akademiker bereits seit mehreren Jahren zusammen.

Es sind genau diese menschlichen Verbindungen, es ist genau diese Form des Austauschs und der Zusammenarbeit, die Vertrauen und Verständigung schafft und die manchmal auch der Politik den Weg ebnen kann.

Ich danke Ihnen, liebe Frau Prof. Wintermantel, dass Sie kürzlich nach Teheran gefahren sind, um die Kontakte des DAAD im Iran zu vertiefen. Seit Jahrzehnten gibt es akademischen Austausch zwischen Deutschen und Iranern. Über 6.000 Iraner sind an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Im letzten Jahr haben Sie nach mehrjähriger Vakanz das DAAD- Informationszentrum in Teheran wieder neu eröffnen können, so dass sich junge Iraner jetzt direkt vor Ort über Studien- und Forschungsmöglichkeiten in Deutschland informieren können. Das war ein wichtiger Schritt! Im September planen Sie ein großes DAAD-Alumni-Treffen in Teheran.

Sie wissen, dass wir innerhalb der E3 plus 3 hart daran arbeiten, in den nächsten Wochen eine Lösung mit Teheran zum iranischen Atomprogramm auszuhandeln. Ob es uns gelingt, das kann ich Ihnen heute nicht versprechen. Die Hoffnung ist da. Aber in jedem Falle wissen wir: Die wissenschaftlichen Bindungen zwischen Deutschen und Iranern im vorpolitischen Raum helfen uns auch in der Außenpolitik, Vertrauen zu schaffen und Türen zu öffnen.

Auch mit Blick auf Russland sind diese Bindungen essenziell, gerade in diesen Zeiten besonders. Und auch hier ist der DAAD aktiv. Ich danke Ihnen, Frau Wintermantel, dass Sie ein neues Stipendienprogramm für deutsche und russische Nachwuchswissenschaftler initiiert haben, zusammen mit dem Vorsitzenden der Assoziation führender Universitäten Russlands – Professor Kropatschew. Programme wie dieses senden ein wichtiges Signal: Das Signal, dass menschliche Verbindungen nicht abreißen, dass Gesprächskanäle offenbleiben, auch wenn es in der Politik gerade knirscht. Ein solches Signal in diesen wahrhaft schwierigen Zeiten ist in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen.

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Und damit komme ich zu meinem dritten Punkt: Der Frage, wie wir Ordnung sichern und schaffen können in dieser Welt voller Krisen und Konflikte.

Seit Experten wie Carl Joachim Friedrich vor mehr als 65 Jahren mit dem Grundgesetz eine Ordnung des Rechts schufen für unser Land, ist viel passiert. Doch ist die Welt eine friedlichere geworden?

Nicht nur die vielen aktuellen Krisen lassen mich zweifeln. Sondern hinter diesen Krisen offenbaren sich viel gewaltigere, tektonische Verschiebungen im Gefüge der Welt. Mir scheint, die Welt ist derzeit auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Die bipolare Ordnung des Kalten Krieges ist verschwunden – zum Glück. Doch eine neue ist nicht an ihre Stelle getreten. Und diese Suche nach Ordnung läuft eben nicht ab wie ein friedlicher Seminardiskurs, sondern das Ringen um Dominanz und Einfluss entlädt sich in der Vielzahl der Konflikte, die uns aktuell umtreiben.

Wie reagieren wir darauf? Wie kann Veränderung in der Welt gelingen, ohne ins Chaos zu führen? Und vor allem: Wie können gerade wir Deutschen, denen es vergönnt gewesen ist, wieder hineinzuwachsen in die Ordnung Europas, der Vereinten Nationen und des Westens – wie können gerade wir unseren Beitrag zu neuer, friedlicher, gerechter Ordnung leisten, heute, in dieser komplizierter gewordenen Welt?

Zuerst einmal müssen wir uns klar sein, was wir mit „neuen Ordnungsstrukturen“ eigentlich meinen. Wenn ich von neuer globaler Ordnung spreche, dann bin ich nicht naiv: Dann meine ich nicht, dass wir Politiker uns wie Architekten ans Reißbrett stellen und mit Zirkel und Lineal Baupläne für ein großes Weltgebäude entwerfen. Nein. Wenn wir im Bild der Architektur bleiben, dann wäre schon mit einer internationalen Verständigung über die Grundrechenarten viel erreicht; mit gemeinsamen Perspektiven auf diese vielschichtige, sich rasant verändernde Welt, in der wir leben.

Und so rückt die Rolle der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ins Blickfeld und mit ihr das Potential der „kulturellen Intelligenz“, das es immer wieder neu zu heben gilt. Nicht für vordergründiges Einigkeitsgefasel, sondern um an den Voraussetzungen für das Verstehen zu arbeiten, zu lernen, welche Träume und Traumata die andere Gesellschaft beeinflussen.

Der DAAD ist auch hier ein Vorreiter! Ich denke zum Beispiel an die deutsch-israelische Lesereihe, die wir derzeit gemeinsam mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD ausrichten. Hier bringen wir Künstler, Schriftsteller und Filmemacher aus Deutschland und Israel zusammen. Hier diskutieren und streiten wir und schärfen dabei unseren Blick dafür, wie der andere auf unsere gemeinsame Welt schaut.

Das Künstlerprogramm steht für noch viel mehr. John Cage, Jim Jarmusch, György Konrad und Imre Kertesz, Susan Sontag und Igor Strawinsky – sie alle haben dank des Programms in Berlin gelebt und gearbeitet. Alumni von Weltrang mit einer Botschaft, die sich weit über Mitte und Kreuzberg hinaus an Menschen rund um den Globus richtet.

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Meine Damen und Herren,

Verständigung durch Austausch.
Verantwortung in der Krise.
Arbeit an einer gemeinsamem Ordnung.

In diese Begriffe lässt sich vielleicht fassen, was uns Carl Joachim Friedrich heute zu sagen hat. Es sind die Ziele unserer Außenwissenschaftspolitik, für die wir uns stark machen.

Der DAAD ist unverzichtbarer Mitgestalter dieser Politik. Ob Sie in der Zentrale des DAAD bei der Betreuung ausländischer Studenten helfen, im Ausland als Lektor tätig sind, oder als Student hier in Deutschland Ihre Erfahrung und Ihr Wissen einbringen: Sie alle leisten einen Beitrag zu diesem anspruchsvollen Prozess von Verstehen, Verständnis und Verständigung.

Und damit helfen Sie, dass wir uns an das halten können, was der leider verstorbene Harry Rowohlt einmal als seine Lieblingstugend formuliert hat:

„Sagen, was man denkt. Und vorher was gedacht haben.“

Vielen Dank.

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