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„Wir müssen die Ukraine politisch und wirtschaftlich stabilisieren“

08.06.2014 - Interview

Wie kann der Konflikt in der Ukraine gelöst werden? Ein Gespräch mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier über Krisendiplomatie, die Kämpfe im Donbass, die Suche nach einem EU-Kommissionspräsidenten und die NSA-Affäre.

Wie kann der Konflikt in der Ukraine gelöst werden? Ein Gespräch mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier über Krisendiplomatie, die Kämpfe im Donbass, die Suche nach einem EU-Kommissionspräsidenten und die NSA-Affäre. Erschienen im Tagespiegel vom 08.06.2014.

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Herr Minister, das Youtube-Video mit Ihrer Wutrede vom Alexanderplatz haben mehr als zwei Millionen Menschen angesehen. Haben Sie so viele positive Reaktionen erwartet?

Überhaupt nicht, ich war völlig überrascht. Zudem war meine Frau gar nicht einverstanden, weil sie mich so nicht sehen mag. Und am Ende ist es ja auch ein bisschen verrückt: Da hält man in seinem politischen Leben Hunderte und Tausende von Reden, manche dabei, in denen viel Arbeit und Gedankenschweiß steckt – hoffentlich auch ein paar kluge darunter. Und in Erinnerung bleibt das, was weniger eine Rede, eher ein Ausbruch war.

Zeigt die große Resonanz, dass sich die Menschen nach Klartext, Authentizität und Emotionen in der Politik sehnen?

Die Wirkung des Auftritts lag ja wahrscheinlich darin, dass er ganz anders war als das, was die Menschen an mir kennen. Die Irritation des Gewohnten hat Aufmerksamkeit erzeugt. Deshalb: Würde man pausenlos Wutreden halten, ließe das Interesse schnell nach. Aber eines stimmt trotzdem: Die Menschen erwarten, dass Politiker mit Leidenschaft für ihre Überzeugungen einstehen. Und dann wird auch Wut, sogar der Wutausbruch erlaubt.

Sehen Sie das als einen Ansporn für mehr Emotionen des Außenministers – oder war das ein Ausraster, den Sie nicht gern wiederholen wollen?

Ausraster, die man plant, funktionieren doch nicht. Die Empörung muss echt sein. Und das war sie Montagnachmittag auf dem Alexanderplatz, als diese Koalition von Dummheit und Geschichtslosigkeit aus Schreihälsen von ganz links bis ganz rechts meinen Auftritt massiv störte. Im Übrigen ist mein Eindruck: Gerade in diesen bewegten Zeiten wollen die Menschen schon einen Außenminister, der sich nicht von wechselnden Emotionen, sondern von Vernunft und Augenmaß leiten lässt.

Um Emotionen geht es auch im Ukraine-Konflikt. Sie waren eine Zeit lang sehr pessimistisch, sprachen von „Irrsinn“, der gestoppt werden müsse. Sehen Sie Anzeichen, dass sich Russland inzwischen für die Stabilisierung der Ukraine einsetzt?

Vielleicht können wir dem Konflikt die Spitze nehmen, aber von einer Lösung sind wir weit entfernt. Die Ukraine-Krise trägt alles in sich, was eine friedliche Lösung so schwer macht: historisch belastete Beziehungen, geopolitische Reflexe, hohes Aggressionspotenzial, nationalistische Impulse, wirtschaftliche Destabilisierung und ein politisch gespaltenes Land. Aber es gibt auch Entwicklungen, die Hoffnung machen.

Welche Entwicklungen meinen Sie?

Wer hätte noch vor wenigen Wochen einen positiven Verlauf der Präsidentschaftswahlen für möglich gehalten? Eines ist klar: Es wird nur schrittweise vorangehen. Erfolg können wir haben, wenn es gelingt, die Konfliktparteien nach und nach einzubinden. Wenn der russische Botschafter in Kiew an der Vereidigung des ukrainischen Präsidenten teilnimmt, ist das ein positives Signal; ein erster direkter Kontakt zwischen Putin und Poroschenko auch. Wirkliche Fortschritte kann es aber erst dann geben, wenn es zu direkten, substanziellen Gesprächen zwischen Moskau und Kiew kommt. Das ist auch unsere Botschaft, wenn Radek Sikorski und ich am Dienstag in St. Petersburg mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow sprechen.

In welchen Zeiträumen denken Sie, wenn Sie von einer Lösung des Konflikts reden?

Konflikte lassen sich in 14 Tagen lostreten. Aber es kann 14 Jahre dauern, die Folgen einigermaßen wieder einzufangen.

Was muss geschehen?

Wir müssen die Ukraine politisch und wirtschaftlich stabilisieren. Das will auch die große Mehrheit der Ukrainer. Die Wahlen haben doch gezeigt, dass die Separatisten nur eine verschwindende Minderheit sind, der rechte Sektor übrigens auch. Es ist dringend notwendig, den vor den Wahlen begonnenen nationalen Dialog fortzusetzen, die Verfassungsreform voranzutreiben, die Rechte der Regionen und den Status der russischen Sprache zu regeln. Auch über den Zeitpunkt für eine Parlamentswahl muss geredet werden.

Russland hat zumindest die Präsidentenwahlen nicht verhindert und respektiert deren Ergebnis. Wirken die Sanktionen?

Im Stadium harter wirtschaftlicher Sanktionen sind wir ja noch nicht. Deshalb: Es war aus meiner Sicht hartnäckige Diplomatie, aber immer mit der Klarheit, dass wir auch zu harten Entscheidungen bereit sind. Was immer Russland dazu bewogen hat: Das Verhalten hat sich spürbar verändert, auch in den Gesprächen. Das genügt aber nicht. Nun müssen beide Seiten die gemeinsame Grenze sichern, um einen Zufluss von Waffen und Kämpfern aus Russland in den Osten der Ukraine zu verhindern. Zur Beruhigung der Lage im Donbass wäre es ganz wichtig, dass Moskau öffentlich die territoriale Einheit der Ukraine stützt und alle Bestrebungen zur Abtrennung ablehnt.

Sie betonen die Wichtigkeit des nationalen Dialoges. Wird der befördert, wenn die Kiewer Regierung militärisch massiv gegen Separatisten vorgeht?

Es ist das Recht eines jeden Staates, sich gegen Angriffe von innen zur Wehr zu setzen. Aber klar ist auch: In einer so angespannten Lage ist es klug, beim Einsatz militärischer Mittel vorsichtig und mit Augenmaß vorzugehen. Vor allem sollte man die Wirkung des eigenen Handelns im Blick haben. Das Ergebnis militärischer Operationen in der Ost-Ukraine darf nicht sein, dass die Separatisten noch mehr Zulauf bekommen. So hat es mir auch der Gouverneur von Donezk vermittelt, der in dieser Woche in Berlin auf Besuch war.

Herr Minister, nach der Wahl des Europaparlaments wird heftig um die Besetzung des EU-Kommissionspräsidenten gerungen. Wie wichtig ist es, wer das wird?

Wir befinden uns mitten in der größten außenpolitischen Krise, die Europa seit Jahrzehnten erlebt hat. Die Folgen der europäischen Finanzkrise sind noch längst nicht überwunden. In dieser Lage ist es nötig, dass wir eine tatkräftige und handlungsfähige Kommission mit einem erfahrenen Präsidenten an der Spitze bekommen, der dieses Europa mit seiner vielfältigen Geschichte und seinen unterschiedlichen Interessen beieinanderhalten kann.

Aber so spielt sich der Machtkampf nicht ab. Stattdessen geht es darum, ob das Europaparlament oder der Europäische Rat, also die nationalen Regierungen, den entscheidenden Einfluss hat. Ihre Partei, die SPD, steht aufseiten des Parlaments. Müssten Sie als Minister nicht das Recht der Regierungen verteidigen?

Die großen Parteifamilien sind verantwortungsvoll vorgegangen. Jean-Claude Juncker und Martin Schulz sind erfahrene Europapolitiker, die keinen Bruch zwischen Europäischem Rat und Parlament wollen. Aber ich unterschätze die Auseinandersetzung nicht, weder die zwischen den europäischen Institutionen noch die zwischen der Mehrheit der Regierungschefs und insbesondere Großbritanniens. Und da verbietet sich jede Leichtfertigkeit. Großbritannien hat viel mit in die Europäische Union gebracht: demokratische Tradition, britische Liberalität, Verantwortung in der Welt. Auch wenn manches im europäischen Alltag schwer sein mag: Die EU ohne Großbritannien wäre nicht dieselbe. Aber vor allem wäre sie keine bessere!

Könnte am Ende ein Kompromisskandidat ins Spiel kommen, damit Großbritannien in der EU bleibt?

Es gibt Mehrheitsmeinungen im Parlament, an denen der Europäische Rat nicht vorbeikommt. Das weiß man sicher auch in London.

Wechseln wir noch einmal das Thema. Der Generalbundesanwalt hat vor wenigen Tagen ein Ermittlungsverfahren wegen des Abhörens des Mobiltelefons der Kanzlerin eingeleitet. Sind im Auswärtigen Amt empörte Reaktionen der US-Regierung eingegangen?

Ich kenne die Äußerung einer Sprecherin des US-Außenministeriums, die erwartungsgemäß kritisch war. Aber bei mir und im AA ist jedenfalls noch keine Beschwerde eingegangen.

Besteht die Gefahr, dass die Ermittlungen dem Verhältnis zu den USA schaden?

Das hoffe ich nicht. Ich setze eher darauf, dass auch in Washington verstanden wird, wie wenig Verständnis die deutsche Öffentlichkeit dafür aufbringt, wenn die Telefonkommunikation enger Partner, auch von Regierungsmitgliedern, abgefangen wird. Deutschland und die USA verbindet eine über viele Jahrzehnte gewachsene transatlantische Freundschaft. Die muss auch Meinungsunterschiede aushalten, gerade in Fragen, die für beide Seiten zentral sind.

Was tragen Sie bei, um den Konflikt zu lösen?

Amerikaner und Deutsche haben unterschiedliche Vorstellungen von der richtigen Balance zwischen Freiheit und Sicherheit im Internet-Zeitalter. Ich habe John Kerry bei meinem letzten Besuch in Washington vorgeschlagen, über diese Unterschiede zu sprechen. Die Amerikaner haben das aufgenommen. Ich freue mich, dass Ende Juni viele Amerikaner zu einem transatlantischen Cyber-Dialog nach Berlin kommen, darunter wohl auch John Podesta, Bill Clintons ehemaliger Stabschef im Weißen Haus, der Präsident Barack Obama beim Umgang mit „Big Data“ und dem Schutz der Privatsphäre berät. Wir wollen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft diskutieren, wie wir die digitale Zukunft gestalten. Natürlich werden dabei auch schwierige Fragen nicht ausgespart.

Interview: Hans Monath, Christoph von Marschall. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Tagesspiegel.

www.tagesspiegel.de

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