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„Wir sind ist nicht blauäugig“

03.08.2014 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur deutschen und europäischen Politik in der Ukraine-Krise. Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (03.08.2014).

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur deutschen und europäischen Politik in der Ukraine-Krise. Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (03.08.2014).

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Die Europäische Union hat diese Woche harte Sanktionen gegen Russland ergriffen. Was meinen Sie: Ändern Sanktionen die Politik des Kreml, oder sind sie eher dazu da, europäischen Zusammenhalt zu demonstrieren?

Sanktionen allein sind noch keine Politik. Deshalb wäre es in einer tiefgreifenden Krise leichtsinnig, allein darauf zu vertrauen. Alle Erfahrung zeigt: Wer den politischen Druck erhöht, um beim Gegenüber Verhandlungsbereitschaft zu erzeugen, muss auch selbst verhandlungsbereit bleiben. Deshalb gehört beides zusammen: die nach dem vermuteten Abschuss der MH17 beschlossenen Maßnahmen der EU einerseits, die gleichzeitig begonnene Wiederaufnahme einer Lösungssuche andererseits. Dazu haben am Donnerstag die Bundeskanzlerin mit Präsident Poroschenko, und ich selbst am Freitag mit dem russischen Außenminister Lawrow gesprochen. Und ich hoffe, dass jetzt entscheidende Schritte zunächst hin zu einem Waffenstillstand gelingen. Wenn sich die EU in diesem Vorgehen einig ist, ist das nur gut!

Wie weit ist es mit dem europäischen Zusammenhalt her, wenn Frankreich darauf besteht, Russland zwei hochmoderne Hubschrauberträger zu liefern, von denen einer den Namen der Krim-Metropole Sewastopol tragen soll und einer demnächst in der Ostsee operieren könnte?

Die EU besteht aus 28 Mitgliedstaaten mit einer sehr unterschiedlichen Geschichte, die durchaus auch das Verhältnis zu Russland unterschiedlich prägt. Dass die Mitgliedstaaten auch ganz unterschiedliche Schwerpunkte in den nationalen Volkswirtschaften haben, ist kein Geheimnis. Deshalb sollten wir nicht nur auf Frankreich schauen, sondern auch auf Länder, die mit Rücksicht auf ihre Finanzplätze eine Verständigung auf Sanktionen nicht einfach gemacht haben. Wichtig ist, dass es am Ende eine Einigung über ein notwendiges Gesamtpaket gegeben hat, das nicht nur Geschlossenheit zeigt, sondern in dem Risiken und Lasten der EU einigermaßen fair verteilt sind.

Auf welche Gegensanktionen Russlands muss Europa, muss Deutschland sich einstellen: Einfuhrverbot für polnisches Obst oder verminderte und verteuerte Gaslieferungen?

Erste Einfuhrbeschränkungen, die zumindest in zeitlichem Zusammenhang mit unseren Entscheidungen angekündigt wurden, sind ja bereits getroffen. Dass Russland überlegt, mit höheren Energiepreisen zur reagieren, war zu hören, ist aber offenbar noch nicht entschieden. Im Übrigen sollte niemanden überraschen, dass Sanktionen Kosten haben - insbesondere diejenigen nicht, die harte Sanktionen als Glaubwürdigkeitstest für europäische Politik seit Monaten postulieren. Die deutsche Bundesregierung, ich selbst seit März, sind mit der deutschen Wirtschaft im Gespräch, um die Konsequenzen wenigstens kalkulierbar zu halten. Außerdem sollen Anpassung und Abbau von Sanktionen möglich sein, wenn politisch wieder Bewegung in die Lösungssuche kommt.

Welchen russischen Gesprächspartnern können Sie noch trauen, nach all den Monaten des ziemlich ergebnislosen Hin- und Her und all dem Leid, das sich längst ausgebreitet hat? Wer hat in Moskau Einfluss auf Präsident Putin?

Das Vertrauen ist ohne Zweifel schwer beschädigt, spätestens seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Wenn wir trotzdem die Gesprächsfäden nach Moskau nicht völlig abreißen lassen, dann geht es nicht um Blauäugigkeit oder naives Vertrauen in die Personen der russischen Führung. Wir sehen das Auseinanderklaffen von Wort und Tat in Moskau wie jeder andere. Und wie andere mahnen wir in Moskau Einflussnahme auf die militanten Separatisten an. Gleichzeitig sehen wir, dass ohne Moskaus Zutun eine politische Lösung des Ukraine-Konflikts kaum oder schwer möglich sein wird. Deshalb, und trotz aller Schwierigkeiten, halten wir die Kanäle nach Russland offen. Wir reden zum Beispiel auch über die schweren Schäden, die Russland Wirtschaft bei Fortsetzung des Konflikts mit dem Westen erleiden wird. Und offenbar reden nicht nur wir darüber! Wenn der Putin-Vertraute und ehemalige Finanzminister Kudrin die Risiken der russischen Ukraine-Politik in einem öffentlichen Interview mit Itar-Tass beschreibt, dann lässt das erahnen, dass auch in Russland eine Debatte in Gange ist.

Der Absturz der MH17 hat die Bemühungen um Auswege aus der Krise um Meilen zurückgeworfen - wie kann es jetzt überhaupt weitergehen?

Keine Frage, der Tod von 300 Menschen in einer zivilen Passagiermaschine hat die Lage noch einmal verändert! Und wer die Bilder der angetrunkenen Separatisten, die zwischen den sterblichen Überresten von Menschen herum stolpern und ihre würdige Bestattung über Tage verhindern, noch im Kopf hat, wird heute noch Wut empfinden. Dennoch, Wut und Empörung kann und darf für Außenpolitik nicht das letzte Wort sein. Deshalb haben wir und andere die Bemühungen fortgesetzt, um mindestens zu kleinen Fortschritten zu kommen. Kleine Schritte in die richtige Richtung hat es gegeben: Die OSZE und internationale Experten haben Zugang zur Absturzstelle der MH17 erhalten. Außerdem sind erste OSZE-Beobachter an zwei russischen Grenzposten eingetroffen. Endlich hat ein direktes Treffen der trilateralen Kontaktgruppe mit Vertretern der Separatisten stattgefunden.

Daran arbeiten wir weiter: Ein nächstes Treffen der Kontaktgruppe soll in der kommenden Woche stattfinden, und der Weg zu einem Waffenstillstand soll auf der Tagesordnung stehen. Ebenso wenig dürfen die Vereinbarungen von Genf und Berlin vergessen werden, in denen sich die ukrainische Regierung zu einem nationalen Dialog verpflichtet hat. Die Runden Tische müssen wieder aufgenommen werden. Und es muss eine Verfassungsreform Gestalt annehmen, die Auskunft gibt über Dezentralisierung und Rechte der sprachlichen Minderheiten.

In der Ukraine wird unvermindert gekämpft, an der Absturzstelle von Flug MH17 liegen noch immer Tote und die Ermittlungen stehen still. Wie soll es dort weitergehen? Was halten Sie von der Erwägung Russlands, „Friedenstruppen“ dorthin zu entsenden?

Schon bald sollen niederländische und australische Polizisten an der Absturzstelle von MH17 im Einsatz sein, um die internationale Untersuchungskommission zu unterstützen. Diesem Vorgehen hat nicht nur der Präsident der Ukraine, sondern auch das Parlament, die oberste Rada, zugestimmt. Damit haben wir internationale Unterstützung auf einer klaren, rechtlichen Grundlage. Ein russischer Einsatz von Friedenstruppen steht nicht zur Debatte und hätte auch keine rechtliche Grundlage.

Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.Interview: Peter Carstens.

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