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„An einer gemeinsamen Zukunft mit Russland arbeiten“

14.02.2014 - Interview

Aus Anlass seines Besuches in Moskau gab Außenminister Frank-Walter Steinmeier der russischen Zeitung Kommersant das nachstehende Interview. Erschienen am 14.02.2014.

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Wie sieht das Programm für Ihren Besuch in Russland aus? Mit wem haben Sie vor, sich zu treffen und was ist die wichtigste Botschaft der deutschen Regierung, die Sie Ihren russischen Gesprächspartnern überbringen werden?

Ich will mir bei meinem ersten Besuch in Moskau nach meinem Amtsantritt als deutscher Außenminister vor allen Dingen Zeit nehmen: Die Zeit, die wir brauchen, um über aktuelle Krisen zu sprechen, Zeit aber auch, um gemeinsam über ganz grundsätzliche Fragen nachzudenken. Meine Amtskollegen Sergeij Lawrow kenne ich seit vielen Jahren, wir stehen in regelmäßigem und engem Kontakt, zuletzt sind wir uns vor weniger als zwei Wochen auf der Sicherheitskonferenz in München begegnet. Mir ist es wichtig, gleich zu Beginn meiner zweiten Amtszeit eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit Moskau anzubieten.

Was hat sich in den deutsch-russischen Beziehungen geändert, seit Sie das letzte Mal deutscher Außenminister waren? Hat sich seitdem Ihre Auffassung über Russland und die russische Politik geändert?

Die Zeit ist nicht stehen geblieben, nicht in Deutschland und auch nicht in Russland. Die großen Konflikte und Krisen sind näher an uns herangerückt. Das ändert aber nichts an meiner Grundüberzeugung: Ohne Russland geht es nicht. Wir brauchen einander für die Bewältigung der großen Konfliktherde, sei es der Bürgerkrieg in Syrien, die E3+3-Verhandlungen über das iranische Atomprogramm, die Stabilität Afghanistans oder die Lösung von Konflikten in unserer gemeinsamen Nachbarschaft, die uns zum Teil schon seit mehr als 20 Jahren begleiten.

Unsere Länder verbindet viel mehr, als es in manchen Medienberichten und öffentlichen Debatten gelegentlich den Anschein hat. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland leben von millionenfachen Kontakten in Gesellschaft und Kultur, in der Wirtschaft und der Politik. Aus Geografie und Geschichte, aus dem Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus und den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts ergibt sich für uns Deutsche die Verantwortung, an einer gemeinsamen Zukunft mit Russland zu arbeiten. Uns verbinden vielfältige gemeinsame Interessen - verlässliche vertragliche Beziehungen, nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum, langfristige politische Stabilität. Auf Grundlage dieser gemeinsamen Interessen politische Ziele zu formulieren und in konkrete Projekte zu übersetzen, darauf kommt es für mich an. Das ist auch das Ziel meiner Gespräche in Moskau.

Welches sind die wichtigsten Probleme, die gegenwärtig die Beziehungen zwischen Moskau und Berlin erschweren?

Es gibt Meinungsverschiedenheiten, unsere Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, von Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechten gehören sicherlich dazu. Wir sehen auf außenpolitische Themen mitunter mit anderen Augen.

Auch wie wir innerstaatlich mit den Anforderungen der Globalisierung umgehen, da mögen wir durchaus unterschiedlich sein. Um Stabilität im Inneren zu wahren und sich nach Außen erfolgreich zu behaupten, braucht es offene Debatten und auch kritischen Austausch. Dass diese Ansicht nicht überall in Russland geteilt wird, sollte uns nicht am Dialog hindern. Im Gegenteil: Das sollte Ansporn sein, noch mehr miteinander zu reden.

Wir dürfen unsere Beziehungen nicht auf die Unterschiede reduzieren, sondern sollten die Gemeinsamkeiten stärker in den Blick nehmen. Ich wünsche mir, dass wir eine konstruktive Zusammenarbeit auf möglichst viele Bereiche ausdehnen können: in der Hauptstadt ebenso wie in den Regionen, beim vermehrten Austausch zwischen unseren Zivilgesellschaften ebenso wie bei der Stärkung der Mittelschicht in unseren Ländern. Ich denke da zum Beispiel an Projekte in der Rechtszusammenarbeit, im Gesundheitssektor, zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung oder den Ausbau der Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft und Forschung. Auch in der beruflichen Bildung drängt sich eine engere Kooperation förmlich auf. Russische Unternehmen und deutsche Firmen in Russland haben gleichermaßen einen hohen Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften.

Ebenso sollten wir verstärkt zu Fragen der Energieeffizienz und des Umweltschutzes zusammenarbeiten. Mir geht es darum, unsere Beziehungen durch greifbare Schritte zu vertiefen, die Deutschland und Russland voran bringen.

Ist Deutschland bereit, sich ebenso eindeutig, wie Frankreich das vor kurzem getan hat, zugunsten einer Aufhebung der Visapflicht zwischen den EU-Ländern und Russland auszusprechen?

Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass möglichst viele Menschen aus der Europäischen Union und Russland die jeweils andere Seite besuchen. Visafreies Reisen kann unsere Beziehungen einen enormen Schritt voranbringen. Das gilt für den Wirtschaftsaustausch ebenso wie für zwischengesellschaftliche Kontakte.

An dem langfristigen Ziel einer Aufhebung der Visapflicht halten wir fest. Die Verhandlungen sind endlich auch ein Stück weitergekommen. Es macht aber keinen Sinn, sich unter Zeitdruck zu setzen. Wichtiger als ein Stichtag ist es, zügig alle dafür notwendigen rechtlichen und technischen Voraussetzungen zu schaffen.

Haben Sie nicht das Gefühl, dass die Politik der EU gegenüber den östlichen Nachbarn in letzter Zeit maßgeblich von den baltischen Staaten und Polen geprägt wird und Deutschland und andere Länder des „alten Europa“, die weniger an einem geopolitischen Wettbewerb, denn vielmehr an einer Zusammenarbeit mit Russland interessiert sind, in den Hintergrund getreten sind? Und dass dies einer der Gründe für die gegenwärtige Krise in den Beziehungen zwischen Moskau und der EU ist?

Deutschland setzt sich stark für Europa ein. Das gilt auch für die gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union gegenüber unserer östlichen Nachbarschaft. Das ist alles andere als ein geopolitisches Spiel um Einflusssphären aus den Zeiten des Kalten Krieges, schon gar kein Winkelzug, der sich gegen Russland richten würde. Ganz im Gegenteil: Wir sind überzeugt, dass nachhaltige Reformen von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft der Schlüssel für eine Zukunft mit mehr Wachstum, Wohlstand und Stabilität sind. Wir wollen deshalb die Länder in unserer Östlichen Nachbarschaft auf ihrem Reformweg begleiten und bieten dafür breit angelegte Hilfestellung an. Das hilft den Ländern, die sich ernsthaft modernisieren wollen und schwierige Reformanstrengungen unternehmen. Das hilft auch der ganzen Region, die unmittelbar von einem intensiveren wirtschaftlichen Austausch und mehr politischer Stabilität profitiert. Ich glaube daran, dass es möglich ist, einen solchen Weg zum Vorteil aller zu gehen. Da schließe ich Russland ausdrücklich ein. Wir sollten daher zusammen überlegen, welche Chancen, Voraussetzungen und Grenzen es für eine weitere wirtschaftliche Integration zwischen Europa, Russland und unseren gemeinsamen Nachbarn geben kann. Bei dieser Debatte sind unsere gemeinsamen Nachbarn gefragt,
aber natürlich Deutschland ebenso wie Russland, Polen, die baltischen Staaten und alle übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ich glaube daran, dass sich so etwas erreichen lässt. Das zeigen doch auch außenpolitische Entwicklungen der letzten Monate. Der Einstieg in die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen und das Zusammenbringen der Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg um einen Verhandlungstisch gehören ebenso dazu wie der Einstieg in eine Lösung des iranischen Nuklearstreits.

Halten Sie es für möglich, Russland zu den Vermittlungsbemühungen zur Beilegung der politischen Krise in der Ukraine hinzuzuziehen?

Aus meiner Sicht mangelt es in der Ukraine nicht unbedingt an Vermittlern, sondern an Vertrauen zwischen den Verhandlungspartnern. Niemand kann ein Interesse an einer weiteren Eskalation der Lage in Kiew haben. Deshalb sollten wir alle dazu beitragen, den Dialog zwischen Opposition und Vertretern der Regierung in der Ukraine zu fördern. Dazu kann auch Russland einen konstruktiven Beitrag leisten.

Stört es Sie nicht, Herr Minister, dass auf dem Kiewer Maidan Gruppierungen, die sich offen zu einer nationalistischen, bisweilen sogar neonazistischen Ideologie bekennen, eine zunehmend große Rolle spielen? Sind Sie nicht der Meinung, dass Europa der ukrainischen Opposition ein klares Signal senden sollte: wenn solche Leute, wie der Chef der Partei „Swoboda“ Oleg Tjagnybok Mitglied des zukünftigen Ministerkabinetts werden, dann kann die EU eine solche Regierung nicht als demokratisch ansehen und mit dieser nicht in vollem Umfang zusammenarbeiten?

Es geht doch darum, dass die Menschen in der Ukraine die Möglichkeit haben, selbst über die Zukunft ihres Landes zu entscheiden, und zwar in freien Wahlen. Wir haben mit dem Assoziationsabkommen unser Angebot für zukunftsgerichtete Beziehungen der Ukraine mit der Europäischen Union gemacht. Ganz gleich für welchen Weg sich die Wähler entscheiden, so steht eines fest: Eine gute Zukunft für die Ukraine kann nicht auf Gewalt und Extremismus gegründet werden.

Eine politische Lösung, die von Regierung, Opposition und vor allem von den Menschen in der Ukraine mitgetragen wird, ist das Gebot der Stunde.

Genauso dringlich ist aber der Einstieg in eine nachhaltige Lösung der wirtschaftlichen Probleme des Landes. Budgetdefizite können kurzfristig ausgeglichen werden. Mittel- und langfristig ist eine Stabilisierung aber nur denkbar, wenn die bestehenden Strukturprobleme wirklich angegangen werden. Wirtschaftliche Modernisierung und politische Stabilität gehen langfristig Hand in Hand, das sehen wir nicht nur in der Ukraine.

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